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20. August 1992

100 Jahre RCW / Festvortrag

Festvortrag anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Ruder-Club Witten
Prof. Dr. Heinrich Schoppmeyer

Der gesellschaftliche Ort des Ruder­-Club Witten in der Geschichte der Stadt

1. Als der Ruder-Club Witten am 20. August 1892 von Viktor Bredt, Otto Dunkmann, Ewald Ahnen, Heinrich Westermann, Oskar van Raay und Friedrich Fricke gegründet wurde, war nach einer langen Stagnation zwischen 1873 und 1885/90 in Witten eine zweite lndustrialisierungs- und Wachstumsphase der Stadt in Gang gekommen, nachdem in der formativen Periode von etwa 1835 bis 1872 das mittelalterliche und frühneuzeitliche Dorf in eine städtische lndustriesiedlung verwandelt hatte. Witten gewann zwischen 1885, dem Ende der Stagnationsperiode und 1892, dem Gründungsjahr des Ruderclubs, rd. 4.000 neue Einwohner; dies entsprach einem Zuwachs von etwa einem Sechstel der Bevölkerung innerhalb von 7 Jahren, bezogen auf die Aus-gangsgröße von 23.700 Einwohnern bei Beginn des Aufschwungs.

Bis zum Ende dieser Periode, das durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges markiert wurde, war die Bevölkerungszahl auf etwa 37.000 Einwohner in den Grenzen Alt-Wittens - also ohne die heutigen Vororte Bommern, Heven, Annen, Stockum, Herbede, Rüdinghausen - geklettert. Diese Bevölkerungsbilanz sagt je-doch wenig aus über die Bevölkerungsfluktuation. Die Zahl der An- und Ab- meldungen bezifferte sich allein im Jahre 1892 auf 9.700, betrug also 35 % der Grundbevölkerung. Dauernd wohnsässige Kernbevölkerung und Einwohner, die sich nur kurzfristig in Witten aufhielten, standen damit in einem äußerst ungünstigen Verhältnis zueinander, wenn man hohe Wohnkonstanz und geringe Fluktuation zum Maßstab einer konsolidierten Stadtgesellschaft bestimmt.

Die Gründe für diese Unruhe in der Stadt waren vielschichtig. Ich greife nur einen heraus. Nachdem 1880 die Bahnlinie Langendreer-Witten/Ost - Annen/Süd (die sogenannte „Rheinische Bahn“) eröffnet war, ließen sich an dieser Bahnlinie zahlreiche Firmen nieder, die teils neu gegründet waren, teils ihre verkehrsungünstigen Standorte im übrigen Stadtgebiet aufgaben und nun die Möglichkeit der Erweiterung und guten Verkehrsanbindung suchten. Dazu gehörte die Eisengießerei von Heinrichs (gegr. 1845), die in die Krumme Straße wechselte und 1898 in den Besitz von Lohmann & Stolterfoht (gegr. 1889) überging. Soeding &Co. (gegr. 1861) siedelten in die Münzstraße in die Nähe der Rheinischen Bahn über. 1891 legte Heinrich Korfmann in der Bruchstraße seine Bergbaumaschinenfabrik an.

1898 gründeten Haarmann, Reunert und Trottmann die Wittener Stahlformgießerei an der Ein-mündung der Bruchstraße in die Krumme Straße. Eine der wichtigsten neuen Gründungen war die durch Alvermann, Cordes und Trottmann ins Leben gerufene Wittener Stahlröhren AG (gegr. 1888), die 1918 in die Mannesmann AG einging. Zur chemischen Industrie an der; neuen Bahnlinie gehörte die Roburitfabrik im Winkel von Schleiermacher- und Annenstraße, eine Firma, die stadt-geschichtlich deshalb eine etwas fragwürdige Berühmtheit erlangte, weil ihre Produktionsstätten 1906 mit Donnergetöse in die Luft flogen und ein weites Umfeld verwüsteten. Besonders bedeutend wurde die Märkische Seifenfabrik (gegr. 1893), die Vorgängerin des heutigen Zweig-werkes der Hüls-Troisdorf AG. Im Zusammenhang mit der „Geburt“ des Ruderclubs seit schließlich noch eine letzte Firmengründung aus dieser Phase vermerkt. Der Ingenieur Heinrich Westermann, einer der sechs Begründer des Clubs, erwarb für seine seit 1884 an der Bellerslohstraße existierende Maschinenfabrik im Jahre 1896 ein Fabrikgrundstück an der Annenstraße 83, dem heutigen Eisenwerk Böhmer benachbart. Offensichtlich war es dieser Gründungs- und Erweiterungsboom, der für die Wittener neue Arbeitsplätze schuf und neue Bewohner anzog. Das Volumen dieser neu eingerichteten Arbeitsplätze war jedoch nicht so groß, daß es für die Mehrheit der in jenen Jahren in die Stadt strömenden Arbeitssuchenden ausgereicht hätte, erwies sich jedoch als umfangreich genug, um zur Vermehrung der Einwohnerzahl um jenes Sechstel in sieben Jahren beizutra­gen, von dem eingangs die Rede war.

Diejenigen, die sich für dauernd oder nur vorübergehend niederließen, suchten jedoch über den Arbeitsplatz hinaus nach einer weiteren Bindung an die städtische Gesellschaft. Dazu halfen die zahlreichen Vereinsgründungen. Sieht man von der Turngemeinde Witten von 1848 einmal ab, begann die lange Welle von Vereinsgründungen seit den 1860er Jahren, zunächst der Kriegervereine, dann der für die bürgerliche Oberschicht besonders attraktiven Gesellschafts- und Bildungsvereine, zu deren letzteren übrigens auch der Verein für Orts- und Heimatkunde (gegr. 1886) gehört, und schließlich auch der Sportvereine. Die verhältnismäßig kleine Stadt zählte um 1880/ 90 rd. 60 Vereine. Allein in den Kriegervereinen waren 20 bis 25 % der männlichen Bewohner Wittens organisiert. Etwa gleichzeitig mit dem Ruder-Club wurde 1892 der Wittener­Fußball-Club gegründet. Zwei Wittener Gymnasiasten hatten während eines Englandaufenthalts das Fußballspiel kennen gelernt und brachten es mit nach Witten. Vermutlich war der Wittener Fußball-Club einer der ersten, die überhaupt in Deutschland als reiner Ballspielverein entstanden. Auch für den Ruder-Club kam der Anstoß zur Vereinsgründung von außen.

Es fällt nämlich auf, daß keiner der sechs Gründungsväter des Clubs aus einer alteingesessenen Wittener Familie stammte. Lediglich der Vater des Buchhalters Ewald Ahnen war schon 1877 nach Witten zugezogen; die übrigen Gründer hatten zwischen 1881 und 1891 in Witten ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Abgesehen von Heinrich Westermann, dessen Dampfkesselfabrik 1897 knapp 60 Arbeiter beschäftigte, und von Viktor Bredt, der zusammen mit seinem Bruder seit 1893 die Firma Bredt & Co. am Mühlengraben leitete, waren die vier anderen Gründer der sozialen Mittelschicht der Stadt zuzurechnen, und von ihnen waren wieder mindestens drei abhängig beschäftigt. Außer bei dem finanziell besser situierten Westermann bewegten sich die Monatseinkünfte der anderen zwischen 140 und 250 Mark. Immerhin gab es noch 1885, einige Jahre früher, nur 39 Wittener, die glatte 250 Mark Einkünfte je Monat bezogen, und nur 94 verdienten mehr, hingegen 5.541 weniger.

Der neue Ruder-Club konnte jedoch sehr bald einen beträchtlichen Zugewinn an Sozialprestige verbuchen, weil es ihm offenbar gelang, sich in die Wittener Stadtgesellschaft zu integrieren und damit zugleich seinen Mitgliedern ein Statusmerkmal mitzugeben, das sie als zur oberen Mittelschicht oder aber zur Oberschicht zugehörig auswies.

Die eindeutige und gut bekannte Quelle dazu findet sich in der Überlieferung zu der Prinz-Heinrich Regatta von 1897, der ersten, die der Club - immerhin fünf Jahre nach seiner Gründung und offensichtlich konsolidiert - veranstaltete. Für den Vorsitz des Ehrenausschusses nämlich konnte man - vielleicht unter Vermittlung des teil-nehmenden Akademischen Ruder­Clubs Münster - keinen geringeren als den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Exzellenz Studt, gewinnen. Studt gab nicht nur seinen Namen her, sondern erschien in Person und überreichte einem der siegreichen Boote den von ihm gestifteten Ehrenpreis, eine bronzene Büste Kaiser Wilhelms II.

Außerdem fanden sich der Regierungspräsident von Arnsberg, Winzer, der Landrat des Kreises Bochum, zu dem Witten damals noch gehörte, natürlich der Bürgermeister Dr. Haarmann mit einem Beigeordneten, dann der Major Gaupp und der Eisenbahndirektor Boecker ein. Hinsichtlich Gaupps und Boeckers möchte ich eine Erläuterung hinzufügen. Gaupp war der Vorsitzende aller Wittener Kriegervereine, deren bedeutende gesellschaftliche Stellung in quantitativer Hinsicht schon angedeutet war, und dem man die prestigeträchtige Komponente, die damals dem Militär eigen war, noch hinzählen muß.

Direktor Boecker war der Chef des größten Wittener Betriebes, der kö­niglichen Eisenbahnwerkstätte, des Vorläufers des heutigen Ausbesserungswerkes der Bundesbahn. Andere prominente Wittener Namen finden sich im Richter- und Regatta-Ausschuß. Da sind der Rentier Brinkmann, Sproß einer der frühen Fabrikanten-Familien aus der ersten Industrialisierungsphase, der Großmühlenbesitzer Rosiny, der Brauereibesitzer Dönhoff und möglicherweise auch ein Mitglied der Wittener Fabrikantendynastie Lohmann genannt. Auch die Familie König war vertreten, die zwischen 1827 und 1914 die Pfarrstelle der evangelischen Johanniskirche besetzt hielt, allerdings mit einem weniger würdigen Vertreter, dem rabiaten und weit über Westfalen hinaus bekannten Antisemiten und Arzt Dr. König.

Von den großen Wittener Industriellenfamilien fehlten nur die Müllensiefens und die Bergers. Die Verbindung zum Gymnasium wurde über den Oberlehrer Steckelberg hergestellt. So wird man den gesellschaftlichen Ort und die Funktion des Ruder-Clubs in seiner ersten Phase, die abrupt durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendet wurde, so bilanzieren müssen: Ausgehend von der Initiative einer Gruppe jüngerer Leute, die den Rudersport anderen Orts kennen gelernt hatten und mit nach Witten brachten, entwickelte sich im Laufe weniger Jahre ein Verein, der für diese Zuwanderer und für die sportinteressierten Teile der oberen Mittelschicht und der Oberschicht in Witten zu einer Gelegenheit der gesellschaftlichen Integration wurde. Die Freiwilligkeit des Beitritts und die frei akzeptierten Regeln, die für Vereine charakteristische Prägung des Lebensverhaltens der Mitglieder in einem begrenzten sportlichen oder gesellschaftlichen Bereich mobilisierten hier, wie in anderen Vereinen, Kräfte, die den Ruder-Club schon in der Startphase als eine Vereinigung auf Dauer stabilisierten.


2. Von den 26 Jahren zwischen 1919 und 1945 verdienen in der Geschichte Wittens nur die ersten vier Jahre zwischen dem Ende der französischen Ruhrbesatzung (20.7.1925) und dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 das Prädikat “normal“. Alle anderen Jahre waren stadt-geschichtlich durch Entwicklungen und Geschehnisse mitbestimmt, die die Bevölkerung politisch entweder ängstigten oder polarisierten in jedem Fall aber erregten. Die dabei gewonnenen Erfahrungen haben eine ganze Generation nachhaltig geprägt. Davon konnte der Ruder-Club, der inzwischen längst ein bekanntes uni festes Element des gesellschaftlichen Lebens in Witten geworden war, nicht unberührt bleiben.


Besonders hervorheben sollte man in diesem Zusammenhang vielleicht das durch die französische Besatzungsmacht zwischen 1923 und 1925 erlassene Ruderverbot, das den Club sehr direkt mit den Folgen des Versailler Vertrages konfrontierte, sowie den Brand des Bootshauses und damit die Vernichtung des gesamten Bootsparkes im Jahre 1924. Dabei konnte der Ruder-Club insofern von Glück sprechen, als der damalige Vorsitzende Heinrich Korfmann kurz zuvor eine Versicherung auf Renten Mark Basis abgeschlossen hatte. Die ausgezahlte Versicherungssumme ermöglichte es dem Club, 1926/27 das heutige Bootshaus zu bauen, das am 19.3.1927 eingeweiht wurde. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß mit Ausbruch des 2. Weltkrieges 1939 der Ruderbetrieb eingestellt wurde. Die letzte Regatta, die besucht wurde, war die Hengsteyseeregatta vom 11. Juni 1939, die wie ihre Vorgängerinnen von Friedrich Wilhelm Moll geleitet wurde.

Die Zusammensetzung der Vorstände des Ruder-Clubs in der Zwischenkriegszeit verrät, daß der Club inzwischen ein vom mittelständischen Wittener Unternehmertum bzw. Wirtschaftsbürgertum und vom Bildungsbürgertum getragener und gekennzeichneter Verein war. Zwischen 1920 und 1939 gehörten praktisch alle Vorsitzenden in diese soziale Kategorie (die Unternehmer Viktor Bredt und Heinrich Korfmann, der Direktor der Commerzbank Heinrich Meesmann, die Juristen Dr. Pott, Dr. Schmitt und Dr. Kienecker). Entsprechendes galt auch für die nachgeordneten Vorstandspositionen wie den stellvertretenden Vorsitzenden (Heinrich Korfmann, Friedrich Wilhelm MoIl), den Schriftführer (Werner Pott, Hans Schüler-Bredt, Dr. Kienecker) ‚ den Kassenwart (Prokurist Sondermann, Direktor der Deutschen Bank Oltmanns), den Bootswart (Otto Korfmann, Trommer) oder den Hauswart (Friedrich Wilhelm Moll). Bei zum Teil hoher Besetzungskonstanz je Funktion wurden von den 175 zwischen 1919 und 1945 zu vergebenden Vorstandsstellen nicht weniger als 74% - also drei Viertel - von nur 12 Personen aus der zitierten Gruppe eingenommen.

Für einen Zeitraum von mehr als einem Vierteljahrhundert bedeutete dies ein außerordentliches Maß an Kontinuität, aber auch an Abgeschlossenheit nach außen, und daraus ergab sich sowohl die Chance einer vereinsspezifischen Traditionsbildung als auch die Gefahr einer gesellschaftlichen Stilisierung. Einerseits entfaltete sich großzügiges Mäzenatentum, andererseits ergaben sich aus dem Mäzenatentum ganz organisch personengeprägte ­Führungsansprüche.

Diese Linie wurde durch die Angliederung des seit seiner Gründung 1903 dem Wittener Realgymnasium eng verbundenen Schüler-Rudervereins Witten im Jahre 1938 nicht unterbrochen, zumal die Zahl der aktiven Ruderer, die das 18. Lebensjahr überschritten hatten, tendenziell wegen der Einberufung zur Wehrmacht nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 ständig sank. Sportlich verzeichnete man in der Zwischenkriegsphase zahlreiche Siege, vor allem auf westdeutschen Regionalregatten.

Selbstverständlich blieb der Ruder-Club von den dramatischen politischen Ereignissen der Zeit im allgemeinen und den Wittenern im besonderen nicht unberührt. Dies zeigt sich atmosphärisch an keiner Stelle so treffend wie bei den Bootsbenennungen. Während vor 1914 im wesentlichen Bezeichnungen aus der Tierwelt oder Spaßnamen gewählt wurden („Sperber“ oder „Lustige Witwe“, „Delphin“ oder „Rausch“), politisierte sich die Namengebung nach 1918 schlagartig. Gleich 1920 wurden zwei neue Boote auf die Namen „Hindenburg“ und „Bismarck“ getauft, der eine als der unerschütterliche Generalfeldmarschall und Befehlshaber eines angeblich unbesiegten Heeres verehrt, der andere als Schmied der 1866/71 erreichten nationalen Einheit beinahe schon ein nationaler Mythos. Mit „von Scheer“, „Graf Spee“ und „Weddigen“ feierte man 1922 zwei als Kriegshelden geltende Admiräle der kaiserlichen Marine des Ersten Weltkrieges und einen berühmten U-Boot-Kommandanten als Namenspatron; der Achter „Hacketau“ (1926) verdankte seinen Namen der Scherzbezeichnung „Hacketauer“, unter der die Angehörigen des ehemaligen westfälischen Infantrie-Regimentes Nr. 16 bekannt waren. Der Gig-Vierer „Graf Luckner“ wurde nach dem damals bekannten Seeabenteurer Graf Luckner benannt, dessen spannende Fahrten und noch spannendere Erzählungen beinahe wie eine nationale Kompensation für die während der Weimarer Republik nicht mehr möglichen großen Flottenparaden der Kaiserzeit wirkten. Die enge Beziehung des Schüler-Rudervereins Witten mit dem Verband der Deutschen im Ausland (VDA) dürfte für die Benennung des Vierers „Grenzland“ verantwortlich gewesen sein. Anpassung an das nationalsozialistische System verrät der Achter „Sieg Heil“ (genau im Jahre 1933), und bei dem Doppelzweier „Wien“ hatte die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich 1938 die Namengeber inspiriert. Selbst bei „Phönix“ und „Götz von Berlichingen“ (1926/27) möchte man an ein nationales Sentiment denken.

Es ist unzweifelhaft, daß für diese Bootsbenennungen die Mitglieder des Vorstandes entscheidend verantwortlich waren, und daher wird man behaupten können, daß ihre politischen Vorstellungen wie wohl auch die vieler Clubmitglieder eher einer national-konservativen Denkweise als irgendeiner anderen nahe kamen. Sie entsprach der Programmatik der Deutsch-Nationalen Volkspartei, die in Witten in den Reichstagswah!en zwischen 1920 und 1933 im Durchschnitt 7 % der Stimmen erhielt. Das prominenteste Mitglied der Deutsch-Nationalen Volkspartei in Witten war bis zu seinem Freitod 1933 Oberbürgermeister Laue; als der eigentliche politische Sprecher dieser Gruppe galt jedoch der auch dem Ruder-Club verbundene Architekt Carl Franzen, der ab 1900 die Bauunternehmung Lünenbürger und Franzen als Alleininhaber führte. Zum Sprachrohr dieses Kreises war in den 1920er Jahren das „Wittener Tageblatt“ geworden, das bei 0. L. Krüger herauskam.

Eine direkte personelle Verbindung zwischen den natio­nalkonservativ eingestellten mittelständischen Unternehmern und Bildungsbürgern, die im Ruder-Club Witten nicht nur ein sportliches zu Hause besaßen, einerseits und der Deutsch-Nationalen Volkspartei andererseits wurde durch Friedrich Wilhelm Moll repräsentiert. Moll war der letzte Vorsitzende des der Deutsch-Nationalen Volkspartei nahestehenden „Stahlhelm“, der, ursprünglich ein Frontsoldatenbund, seit Mitte der 20er Jahre immer deutlicher in politisches Fahrwasser geriet und in Witten schließlich im November 1933 auf Druck der NSDAP aufgelöst und in die SA übergeführt wurde.

Während die ältere Gruppe im Vorstand mehrheitlich eher monarchisch-konservativ gedacht haben dürfte, fand sich eine jüngere zusammen, die sich radikalisierte und dezidiert national-sozialistisch eingestellt war. Ihr bekanntester Exponent war der Prokurist Heinrich Sondermann, von 1923 bis 1928 Kassenwart des Clubs und 1931 sein stellvertretender Vorsitzender. Sondermann, bei Lohmann & Stolterfoht tätig, stürzte mit Hilfe der NSDAP den national-konservativen Oberbürgermeister Laue und ließ sich am 26. April 1933 in dessen SesseI - wenn auch zunächst nur kommissarisch - nieder.

Er war seinen Äußerungen und bald auch in den Drohungen, die er in Reden auszustoßen pflegte, selbst für die NSDAP nicht mehr tragbar und wurde daher am 4. August 1933 wieder abgelöst. Zuvor hatte er Toni Bandke, einen der erfolgreichen Rennruderer der zweiten Hälfte der 20er Jahre, Anfang Mai 1933 in Führermanier zum „Kommissar für Jugendpflege und Leibesübung der Stadt Witten“ ernannt. Bandke, wie eine Reihe anderer jüngerer Ruderer auch Angehöriger der SA, erhielt von Sondermann den Auftrag, „die Gleichschaltung in den Leibesübung und Jugendpflege treibenden Vereinen durchzuführen und das Wittener Turn- und Sportwesen auf eine Höhe zu bringen, die der Größe und Vergangenheit unserer Vaterstadt entspricht“. Bandke vermochte jedoch nur die erste Forderung dieser bombastischen Phrase, die Gleichschaltung, in Gang zu bringen. Was historisch sportliche Erfolge betraf, war Ausbeute eher mager.

Ich möchte die Charakteristik der komplexen gesellschaftlichen und politischen Situation hier abbrechen und als knappes Ergebnis festhalten: Der Ruder-Club hatte seinen Platz in der städtischen Gesellschaft gefunden, deren wirtschafts­- und bildungsbürgerliche Oberschicht das Vereinsleben mit ihren Denk- und Verhaltensweisen und das Vereinsbild in den Augen der Öffentlichkeit bestimmte. Näher betrachtet, spiegelten sich in der Mitgliedschaft des Ruder-Clubs angesichts seiner bürgerlichen Verfaßtheit jene Konfrontationen wider, die das Bürgertum selbst entzweiten: die Polarisierung nach national-konservativ und nationalsozialstisch Orientierten, verschärft durch den zugehörigen Generationenkonflikt. Man darf nicht übersehen, daß der Nationalsozialismus alterssoziologisch geurteilt zu guten Teilen eine Jugendbewegung darstellte.


3. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Witten durch  91 Luftangriffe, unter ihnen zwei Großangriffe, heimgesucht worden war, lagen 80 % der Innenstadt in Trümmern. 30.000 Menschen waren obdachlos geworden, die Bevölkerung von 73.500 Köpfen bei Kriegsausbruch auf 69.300 im Jahre 1946 gesunken. Unter dem Zustrom der Vertriebenen und Flüchtlinge stieg die Einwohnerschaft jedoch rasch; schon 1950 war der Vorkriegsstand übertroffen. Die Volkszählung von 1961 wies 96.000 Bürger nach. Von ihnen waren 22.600 aus den deutschen Ostgebieten vertrieben oder aus Mitteldeutschland geflohen (= rd. 25% der Bevölkerung). Trotz (oder vielleicht wegen) dieser Bevölkerungsschübe und -umschichtungen war die kommunale Atmosphäre tendenziell vom Gedanken der Rekonstruktion bestimmt, außer im materiellen Bereich.

Eine deutlichere Zäsur zeichnete sich erst rd. 25 Jahre nach dem Ende des Krieges ab. Seit 1965/70 begann die Bevölkerungskurve zu sinken, obgleich nun statt der Ostvertriebenen Ausländer zuströmten. Gleichzeitig wurde offenkundig, daß auch Witten nicht von der Krise des Ruhrgebietes, die sich schon seit den späten 50er Jahren angekündigt hatte, verschont bleiben würde. Traditionsreiche Firmen wie die Wittener Hütte AG, Lohmann & Soeding, Gebr. Schüren, Bredt & Co. schlossen ihre Werkstore für dauernd. Ohne Zweifel büßte damit auch der Ruder-Club Teile seiner wirtschaftlichen und sozialen Basis ein.

In anderer Form galt das für den Nachwuchs. Die Zahl der Schüler in den Wittener Gymnasien vermehrte sich, gemessen an bisherigen Maßstäben, in aberwitzige Höhen, jeweils bezogen auf den Anteil am Geburtsjahrgang; die Zahl der Gymnasien selbst verdoppelte sich. Mit dieser Vermehrung wurde jene Homogenität der Herkunft brüchig, auf die der Ruder-Club bis dahin bei seinen jugendlichen Mitgliedern immer gerechnet hatte.

Das Leben im Ruder-Club während der ersten Nachkriegszeit und in den 50er Jahren reagierte auf die großen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und auf die Erschütterungen der gesellschaftlichen Normen als Folge des Krieges kaum, sondern gab sich jener Atmosphäre der Wiederherstellung hin, die die bisherigen Wertschätzungen bestätigen wollte. Dem­entsprechend bestimmte bis weit in die 50erJahre hinein auch jenes Bild des Ruder-Clubs die Wittener Öffentlichkeit, das schon aus der Vorkriegszeit tradiert war.

Das wurde dem Vorstand 1953 drastisch bewußt gemacht. Als der Ruder-Club 1953 an die Stadt Witten einen Antrag stellte, um für Bootskäufe für Jungruderer finanzielle Unterstützung zu erhalten, wurde dieser Antrag ohne Federlesen zurückgewiesen. In den Vorstandsprotokollen kann man nachlesen: „Die SPD lehnte ohne Begründung ab. Aus den Reihen der CDU sollen Äuße­rungen laut geworden sein, daß wir ein Kapitalistenclub mit völlig veralteten Aufnahmebedingungen seien. Die FDP befür­wortete unseren Antrag, worauf er zurückgestellt wurde“.

Damit war man, so könnte man hinzufügen, gleichsam wieder unter sich, da der damalige Vorsitzende Schüler-Bredt selbst der FDP nahestand. Immerhin wurde mit diesen Einschätzungen, wenn auch in verzerrter Form, ein Selbstverständnis bestätigt, daß der Club oder doch seine Führungsschicht von sich selber besaß.

Die Eigeneinschätzung kam faktisch darin zum Ausdruck, daß genau wie vor dem Kriege die potentiellen Ruderer beinahe ausschließlich unter Gymnasiasten geworben wurden und die Geworbenen obendrein zweier Bürgen bedurften, bevor sie aufgenommen wurden. Schon 1949 nahm man dazu Kontakt mit einem der Sportlehrer des Gymnasiums, dem Studienrat Wolff, auf, der, wie der Verfasser selber bezeugen kann, unter dem nicht ganz präzise angewandten Motto “navigare necesse est“ in seinem Lateinunterricht eine lebhafte und erfolgreiche Werbung begann.

Als Wolff sich nach Lübeck versetzen ließ, war der Kontakt unterbrochen. Der Vorstand wandte sich daher im Herbst 1952 wie folgt werbend an die Gymnasien: „Den Direktoren beider höherer Lehranstalten soll mitgeteilt werden, daß der Ruder-Club Witten einen Trainer anstellen wird und auch ein Arzt vorhanden sei, der die Schülerinnen und Schüler gesundheitlich betreuen wird. Beide Direktoren sollen um Unterstützung und um Zuteilung eines Lehrers, der nur noch die Aufsicht übernehmen soll, gebeten werden. Es soll versucht werden, Herrn Dr. Melang für diese Aufgabe zu gewinnen.“ Melang, ein begeisternder Sportlehrer, aber ein noch brillianterer Romanist, ist auf diese Aufforderung nicht eingegangen. Den Herren des RCW-Vorstandes, die von den beiden Gymnasien etwas altertümelnd in der Sprache von 1910 noch von „höheren Lehranstalten“ und später stattdessen in der Diktion von 1933/45 von „Oberschulen“ redeten, war entgangen, daß das berufliche Selbstverständnis der Gymnasiallehrer sich inzwischen längst nicht mehr damit vertrug, Jugendliche zu beaufsichtigen.

Erst 1962 glückte es, den Kontakt mit Oberstudiendirektor Klink vom Ruhrgymnasium so weit zu vertiefen, daß eine Schüler-Ruder-Riege ins Leben gerufen werden konnte. Klink, SPD-Mitglied, kam zur Bootstaufe eines Doppelvierers und gab ihm - eine von zwei politischen Namensgebungen nach dem 2. Weltkrieg - den Namen “Schle­sien“, woher er selbst kam.


Prüft man die Vorstandslisten, insbesondere mit Blick auf die Position des 1.Vorsitzenden, dann scheint sich gegenüber der Vorkriegszeit zunächst kaum etwas verändert zu haben. Läßt man eine Ausnahme bei Seite, dann wurde der Ruder-Club bis in die späten 60er Jahre (1969) von Repräsentanten der unternehmerisch tätigen Wittener Honoratioren geleitet (Trommer, Schüler-Bredt, mit Einschränkungen Dr. W. Soeding), die zugleich im Ruder-Club Witten groß geworden waren. Der letzte Vertreter der unternehmerischen Honoratioren-Gruppe, Dr. Köhler, war jedoch bereits ein spät für den Ruder-Club gewonnener Mäzen, der keine eigene ruderische Vergangenheit besaß.

Für die zweiten Vorsitzenden überwog bis zum Ende der 50er Jahre die Herkunft aus der genannten sozialen Gruppe bzw. aus der Schicht des Bildungsbürgertums. Auf den hinteren Vorstandsplätzen vom Schriftführer bis zum Ruderwart ergab sich jedoch ein anderes Bild als in der Zwischenkriegszeit. Als erstes fällt - sieht man vom Kassenwart ab - eine geringe Kontinuität in der Ämterbesetzung auf, und die zweite, wichtigere Beobachtung ist, daß diese Plätze tendenziell von Angestellten, jedenfalls von nicht Selbständigen eingenommen wurden. In einer Reihe von Einzelfällen läßt sich für sie wiederum nachweisen, daß sie in Betrieben beschäftigt waren, die sich im persönlichen Eigentum der alten Führungsschicht befanden.

Man gewinnt den Eindruck, als ob die Gruppe der ehemaligen Spitzen durch ihre Stellvertreter weiter präsent blieb. Vertriebene oder Flüchtlinge ließen sich im Vorstand kaum feststellen; insoweit hatte die große Bevölkerungsumschichtung in Witten nach dem Krieg auf den Ruder-Club keine Auswirkungen.

Mit Beginn der 70er Jahre zeitgleich mit der vorhin angedeuteten stadtgeschichtlichen Zäsur beginnt sich das Bild zu wandeln. Die Vorstände werden nun überwiegend von Angestellten bzw. von selbständigen Angehörigen der Bildungsberufe gestellt, die in der Mehrzahl als Ruderer im Ruder-Club selbst aktiv waren, nach einer nicht alltäglichen Möglichkeit der Freizeitgestaltung suchten oder einen gesellschaftlichen Kon­takt in Witten zu gewinnen und zu wahren trachteten.

 

Gleichzeitig verminderte sich unter den Mitgliedern die Zahl derer, die als Jugendliche in früheren Jahren ihre Ruderkarriere in Witten begonnen hatten; viele von ihnen verließen Witten aus beruflichen Gründen. Der zusammengeschmolzene Rest des Altwittener unternehmerischen Honoratiorentums kündigte zwar nicht die Mitgliedschaft, engagierte sich aber nicht mehr in der Vereinsarbeit. Darüber hinaus mußte sich der Ruder-Club der neuen Freizeitmagneten, die Sport und gesellschaftliches Prestige verbanden, erwehren: der Tennis-, Reiter- und Golfclubs.

Ein ausgezeichneter Indikator für diese Entwicklung ist das Schicksal der Winter- und Frühlingsfeste des Ruder-Clubs. Nachdem die Währungsreform 1948 überhaupt wieder Feste ermöglichte, die in materieller Hinsicht diesen Namen verdienten, begann der Ruder-Club, solche Feste trotz der im Bootshaus vorhandenen Räume in das Parkhaus Hohenstein zu verlegen. Bei der Vorbereitung des Winterfestes 1952 zum Beispiel vermerkte das Vorstandsprotokoll, es solle mit Finanzen grundsätzlich nicht gespart werden. Geschmackvolle Einladungskarten seien zu drucken, eine große Zahl von Nachbarvereinen solle eine Einladung erhalten und unter den Gästen wünsche man den Oberbürgermeister, den Oberstadtdirektor und die Vertreter der Wittener Gymnasien zu sehen.

Die Gäste sollten durch Herrn Trommer empfangen werden, da er, wie es hieß, die meisten ohnehin kenne. Mit dem Pächter von Haus Hohenstein wurde eine Weinkarte ausgehandelt, der Saalschmuck besprochen usw. Das Fest selbst sah die Damen der Mitglieder im großen Abendkleid, die Herren im Frack. Auf der Galerie hockten die in den besten Anzug gekleideten, aus dem Gymnasium rekrutierten Jungruderer und verzogen gegenüber ihren Partnerinnen keine Miene, wenn sie wegen des Weinzwangs, aber schmaler Mittel den billigsten und sauersten Wein mit der Geste eines Mannes von Welt hinuntergossen.

Bei den durch den Besuch der Wittener Ruderclubdamen besonders geadelten Wittener Friseuren war das Ruder-Club-Fest tagelang vorher schon Hauptgesprächsstoff. Kurz: Für die Wittener waren diese Feste ein repräsentatives, weit über die Mitgliedschaft des Ruder-Clubs hinaus besprochenes Ereignis.

Seit den 60er Jahren jedoch fand der Ruder-Club nicht mehr die Kraft für einen derart repräsentativen Aufwand. Bezeichnend ist, daß das 75. Stiftungsfest 1967 in den Räumen des Bootshauses gefeiert wurde. Hierin spiegelt sich ein in den letzten 30 Jahren eingetretener Verlust an gesellschaftlicher Prägekraft und Repräsentationswillen wie auch an finanziellen Mitteln.

Man pflegt eher das intim Familiäre der Clubgemeinschaft; eine Außenwirkung in die städtische Gesellschaft ist nicht mehr beabsichtigt. In diesen Rahmen passen auch die Erweiterungen des Bootshauses, so groß die Spenden für die Finanzierung im einzelnen auch gewesen sein mögen.

Während die gesellschaftliche Bedeutung des Ruder-Clubs in der Stadt sich verminderte, hat die sportliche Bedeutung zugenommen. Der ersten vom Ruder-Club 1949 gewonnenen Deutschen Meisterschaft im Frauen-Stil-Rudern (Biergans-Vierer), die in die erste Nachkriegsperiode gehört, stehen die zahlreichen großen Erfolge bei deutschen, europäischen und Weltmeisterschaften wie bei Olympischen Spielen gegenüber, die sich vor allem mit den Namen Albrecht Müller, Guido Grabow und Volker Grabow verbinden. Hinzu treten die zahlreichen Erfolge der Junioren und Männer B-Ruderer. Nun sind dies in einer rekordinflationären Zeit Meriten, die immer erneut verdient werden müssen; der Rang des Clubs in der Wittener Gesellschaft hängt heute weniger vom sozialen Status seiner Vorstände als vom Erfolg seiner Ruderer ab.

Den skizzierten Wandlungen folgte eine Änderung des Führungsstils, allerdings nicht ohne Friktionen und Reibungsverluste mit den der Tradition verhafteten Führungskräften. Nach dem Kriege, zur Zeit von Gottfried Trommer, der durchaus als bedeutender Mäzen eingestuft werden kann, wurde im Vorstand noch ein klassisch autoritärer Stil mit dem sogenannten Herr im Hause Standpunkt gepflegt.

So wurden wegen eines vergleichsweise unbedeutenden Vereinswechsels zum Ruderverein Bochum Nachbarverein und Deutscher Ruderverband drei Jahre lang mit Streit- und Klageschriften überzogen, und Dr. Wülfing, Vorsitzender des Rechtsausschusses des DRV und nachmaliger erster Vorsitzender, hatte alle Mühe, diesen Streit als Bagatelle niederzuschlagen.

In besonderer Weise waren jeweils die jugendlichen Ruderer das Ziel einschlägiger Kritik. Durch jede dritte oder vierte Vorstandssitzung der 50er und frühen 60erJahre zieht sich die Klage, daß das Benehmen der Jugendlichen zu wünschen übrig lasse, daß das Gelände des Ruder-Clubs ein EIdorado für alle möglichen Jugendlichen geworden wäre, daß die Jugendlichen XY wegen Benutzung eines Vergnügungsbootes mit einer so und so langen Ruder- und Bootshaussperre zu belegen seien, daß mit dem Vater eines Jugendlichen wegen dessen flegelhaften Benehmens Rücksprache zu führen sei oder dieser oder jener ganz ausgeschlossen werden müsse. Man mag heute gar nicht mehr glauben, wer denn als Jugendlicher galt. Noch 1957 dekretierte der Vorstand in Fortführung einer älteren Tradition:
„1. Jugendliche im Alter bis zu 24 Jahren, die nicht in Begleitung der Eltern oder Erziehungs-berechtigter sind,   dürfen sich nur bis zum Einbruch der Dunkelheit im Bootshaus bzw. dem zum Bootshaus gehörigen Gelände aufhalten.

2. An 1 oder 2 Samstagen oder an 1 bis 2 Donnerstagen jeden Monats ist der Aufenthalt im Bootshaus bis 20 Uhr gestattet.

3. Jeder Jugendliche hat seinen Ausweis mitzuführen. Stichproben sind durchzuführen und Jugendliche ohne Ausweis zurückzuschicken.“

Es liegt auf der Hand, daß derart lächerliche und absurde Beschlüsse - immerhin nach dem 2. Weltkrieg, in dem zahlreiche junge Männer in eben dem Alter von 18-24 Jahren an den Fronten gefallen waren - nicht durchzuhalten waren und zu periodisch wiederkehrenden Konflikten führen mußten.

Sie schwelten auch unter den älteren Mitgliedern, etwa der in Kontroverse des Donnerstags- mit dem Freitagsstammtisch. Als Anwalt der jungen Generation übte z. B. Friedrich WiIhelm  Moll gelegentlich massive Kritik an der Linie des Vorstandes, ohne jedoch eine grundsätzliche Revision erreichen zu können. Erst als Ende der 60er Jahre die Ausläufer der Studentenrevolte Witten und den Ruder-Club erreichten, begann man, sich anders zu besinnen.

Im September1968 richteten 9 aktive Jungruderer, unterstützt von 5 ordentlichen Mitgliedern, an den Vorstand den Antrag auf Satzungsänderung. Den Kern des Antrags kann man in der Forderung erblicken, daß alle diejenigen künftig ordentliche Mitglieder sein sollten, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten. Zur Begründung führte man an, daß jeder ab dem 18. Lebensjahr ein Auto führen dürfe, dem Vaterland diene, heiraten könne und in Kürze das Wahlrecht für den Bundestag erhalte. Als über ein Jahr später, am 23. Oktober 1969, in einer übrigens schwach besuchten außerordentlichen Versammlung über eine inzwischen ausgearbeitete Satzungsänderung abgestimmt wurde, entschieden sich 22 Mitglieder im Sinne des zitierten Antrages, aber immerhin 6 stimmten dagegen.

Damit war die Vereinssatzung in einem Punkt modernisiert worden, der nur als Relikt des 19. Jahrhunderts apostrophiert werden kann. Er beruhte, ähnlich wie das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht, auf der Satzung, daß volle Mitgliedschaft nur denjenigen zustehe, die auch den vollen finanziellen Beitrag leisteten. Da die Mitglieder bis zum 24. Lebensjahr angesichts der Sozialstruktur des Ruder-Clubs in der Regel teils Gymnasiasten, teils Studenten ohne Einkommen waren, ergab sich - dieser Denkfigur entsprechend - für sie eine Eingrenzung der Mitgliedsrechte.

So plausibel im logischen Sinne eine solche Ableitung manchem auch scheinen mochte, übersah sie doch, daß eine funktionierende Vereinsgemeinschaft der gleichen Rechte für alle Mitglieder bedarf. Insoweit war die Satzungsänderung von 1969 ein längst fälliger Akt der gesellschaftlichen Modernisierung starr gewordener Strukturen, denn trotz aller Unterschiede in der Beitragsleistung lebte und lebt der Verein nur, wenn die Wertschätzung der je einzelnen Mitglieder unabhängig von ihren mäzenatischen Möglichkeiten bleibt.

Heute sind die ge­staltenden Kräfte des Vereins nicht mehr an irgendwelche sozialen Schichten gebunden, sie rekrutieren sich aus der Gesamtheit der Bevölkerung. Ihr gemeinsames verbindendes Band ist der Sport, der Rudersport, und ihre Verdienste ergeben sich aus ihrer Einsatzbereitschaft und Leistung für den Verein, die gleichen oder höheren Rang als Zuwendungen materieller Art zuhaben vermögen. Die heutigen Mitglieder des Ruder-Clubs Witten gehen mit anderen Wertsetzungen und daher auch mit einer weitaus größeren Offenheit als dereinst in das zweite Ruder-Club Jahrhundert.

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