2023 Ruderwanderfahrt des RC Witten und des RaB Essen auf der Themse
Ruhr on Tour
Von Northmoor Lock über Henley-on-Thames bis Windsor Castle
Was einst als Geburtstagsgeschenk des Witteners Volker Grabow an seine Essener Frau Silvia begann, ist längst zu einer alljährlich gepflegten Tradition geworden: eine Ruderwanderfahrt der beiden Vereine, auf interessanten Gewässern, eher verhalten sportlich. Inzwischen weg von Zelt und Lagerfeuer, hin zu Hotel und Restaurant. Genussrudern für Freunde des gepflegten Ruderschlags, wie es heißt. Organisiert von immer denselben: Volker und Jörg "Guy" Pfeffermann vom RaB. Irgendwann hat die Veranstaltung einen Namen: Ruhr on Tour. Und es gibt ein gemeinsames, in den jeweiligen Vereinsfarben Rot und Blau auf Weiß gestaltetes Shirt. Anlässlich der 25. Fahrt im vergangenen Jahr war es in einem anderen Design mit dem stolzen Zusatz "since 1997" neu aufgelegt worden.
Hatte man bislang an jeweils einem verlängerten Wochenende deutsche Ruderreviere und Fahrten in Holland bis nach Amsterdam bevorzugt, so sollte diesmal eine ganze Woche lang auf der Themse gerudert und zum Abschluss die Royal Regatta in Henley besucht werden. Am Sonntag, als die Jugend beider Vereine bei der DJM auf dem Baldeneysee ihr Bestes gibt, geht es los. Mit 18 Ruderinnen und Ruderern. In zwei Bussen, von denen einer den Wittener Bootshänger zieht. Auf ihm sind ein Gig 4x+ und eine Barke mit acht Rollsitzen und reichlich Platz für Steuerleute und Fahrgäste festgezurrt.
Man hatte gemeinsam in einem Appartement wohnen und sich diesmal selbst verpflegen wollen. Die Gruppe ist aber zu zahlreich und so buchte Guy zwei benachbarte Unterkünfte im zentral gelegenen Reading. 3 Tage vorher: in App.1 ist ein Wasserschaden. Ersatz 4 km von App.2 entfernt. Mist! Sei’s drum. Wir sind schon von der Fähre Calais/Dover runter, da kommt die nächste Meldung: App.2 hat leider einen Wasserschaden. Ersatz? Fehlanzeige. Ruderwanderfahrten sind Feste der Improvisationskunst, doch kurz macht sich Frustration breit. Müssen wir unverrichteter Dinge wieder umkehren?
Es ist 7:30 pm. Wir finden noch ein Hotel in Reading für eine Nacht und für alle. Das Dinner - Hasenbrote und andere Reste des Reiseproviants - wird vor bereits geschlossenem Restaurant eingenommen. Am nächsten Tag gelingt es Wiebke, Martin und Stephan, neue Hotel-Unterkünfte zu beschaffen. Darüber, dass wir nun auch noch jeden Abend ins Restaurant gehen werden, tröstet allein die Erkenntnis hinweg, dass wir für eine Selbstverpflegung zu später Abendstunde ohnehin keine Zeit gefunden hätten.
Die Themse windet sich durch die grüne Landschaft. Mal Ruhr-breit, mal schmaler. Sie ist wirklich ein schöner Fluss. Je weiter wir kommen, umso prächtiger werden die Anwesen auf den Wassergrundstücken. Von Gärtnern gepflegt und hier und da schon für eine sommerliche Gartenparty hergerichtet. Von englischem Landhausstil bis zu moderner Architektur ist alles dabei.
Ab Donnerstag sitzt Paul mit im Boot, ein Freund von Wiebke aus Australien. Zwei Ruderinnengatten sind tagsüber mit dem Golfspiel beschäftigt. Seit Oxford vermisst Stephan seine gelbe Tasche mit den meisten seiner Ruderutensilien. Zwei Tage später fällt Volker auf, dass er zwei gelbe Taschen auf dem Zimmer hat.
Wir rudern im Durchschnitt gut 30 km am Tag und sind dennoch locker 10 Stunden auf dem Wasser. Der Grund sind die vielen Schleusen. Kurz und schmal, oft botanisch aufgehübscht und von einem Pensionär ehrenamtlich bedient. Auf der letzten Etappe am Freitag sind es nicht weniger als 8 dieser Locks. Mal geht es schnell, meist dauert es länger. Mal hat ein unbeholfener Hausbootkapitän den mitunter selbst zu bedienenden Schließmechanismus kaputt gemacht.
Keine dieser Schleusen wird ohne ein dankendes HippHippHurrääh zu Ehren des Lockkeepers verlassen. Auch nicht die, vor der sich Ela beim Aussteigen aus dem Boot die Hand bricht. Fred und Volkhart - HNO-Ärzte, wenn sie nicht gerade rudern - teilen sich die Betreuung jenseits ihrer Fakultät: der eine leistet einfühlsam seelische Erstversorgung, der andere fixiert den Bruch mit einer Schiene, die er sich fürsorglich aus einem Stöckchen geschnitzt hat.
Überall gibt es Rudervereine, wo man anlegen und sich vom halbtägig wechselnden Landdienst mit Obst, Käse, Kuchen und Getränken versorgen lassen kann. Unterhalb von Oxford kreuzen wir eine Trainingseinheit des britischen Nationalachters. Rauschend vibriert die Luft unter einer solchen Kraftentfaltung. Eine gute Woche später in Luzern würden die Australier noch schneller sein. Wir denken an Tassilo vom RaB, der hier trainiert und 2023 bei dem berühmten Rennen gegen Cambridge für Oxford auf Co-Schlag saß, sogar Captain war. Und dann unglücklich verloren hatte.
Nicht immer steht fest, bis wohin wir heute kommen. Die erste Tagestour endet am City of Oxford Rowing Club. Die nächste an der malerischen Shillingford Bridge auf halber Strecke nach Reading. Dann am Reading Rowing Club, wo Passanten eine Armada von bestimmt 100 Schwänen, den Heiligen Kühen Englands, füttern und die ortsansässigen Ruderer ihr Aufwärmprogramm mit dem Reinigen des Stegs von etwas absolvieren, wogegen das, was wir insoweit von unseren Kanadagänsen gewohnt sind, nur ein Vogelschiss ist.
An Tag 4 ist am Hurley Lock Schluss. Eine schnuckelige Schleuse im Grünen, flussabwärts hinter Henley-on-Thames. Sie wird bereits donnerstags von aus dieser Richtung kommenden Booten mit fröhlichen Menschen, gleichsam schwimmenden Partys, passiert und liegt so versteckt, dass wir dort in der Abendsonne nicht weniger als 1 1/2 Stunden auf den navigationstechnisch hochgerüsteten Landdienst warten müssen, bis der den Weg zu uns gefunden hat.
In Henley ist es uns heute vergönnt gewesen, einmal im Rudererleben dort, wo vor bald 200 Jahren eine Wiege des Rudersports stand, unter dem anderen geltenden Jubel des Regatta-Publikum über die 2.112 m (1 mile 550 yards) lange Strecke zu gehen. Wenn auch in verkehrter Richtung. Allerdings - mit Volker, seinem Bruder Guido und Norbert „Nono“ Kesslau, also 3/4 des weltmeisterlichen Ruhr-Vierers der 1980er Jahre, sind doch welche unter uns, die hier Rudergeschichte geschrieben haben. Am Start machen wir eine Pause und schauen zu. O-Ton Guido: Ich habe gerade so ein Scheiß-Gefühl!
Und dann schon die letzte Etappe nach Windsor Castle, dem wir uns von hinten nähern und das dort gar nicht so prächtig ausschaut, wie wir das zuletzt noch bei einem der - seit dem Megxit selten gewordenen - Auftritte von Ex-Ersatzkronprinz Harry im TV gesehen hatten.
Waren die Zimmer des ersten Ersatzquartiers in Reading großzügig und das Breakfast karg gewesen, so ist dies in Quartier Nr. 2 in Cookham bei Maidenhead genau umgekehrt: Ham & Eggs & Beans in Hülle und Fülle. Aber an der breitesten Stelle des Raumes, zwischen zwei Wänden eingeklemmt, versperren unsere langen Kerls mit ihren Beinen, die am Fußende noch längst nicht zu Ende sind, einen gerade mal handbreiten Pfad zum Klo.
Nachdem wir die Barke an einer bequemen Slipanlage in Windsor an Land gezogen und die Boote wieder verladen haben, steht das Wochenende nun ganz im Zeichen der Royal Regatta. Über Simon Johnson (Upper Thames Rowing Club), ein langjähriger Ruderfreund von Volker, Produzent von Katamaran-Booten, die als Trainer- und Schiedsrichterboote in ganz England und weit darüber hinaus im Einsatz sind, haben wir für die Finals am Sonntag Eintrittskarten in die exklusive Stewards Enclosure nächst der Ziellinie ergattern können, also für den elitärsten Abschnitt an der Regattastrecke überhaupt. Wir haben dort sogar Sitzplätze in dem zielnächsten Segment der überdachten Tribüne. Da sitzt aber niemand, weil es in diesem Jahr mal nicht regnet.
Henley ist zuallererst ein gesellschaftliches Ereignis der sog. Season, zu deren sportlichen Teilen auch Wimbledon/Tennis oder Ascot/Pferderennen zählen. Hier trifft man sich zu einem eleganten Picknick, schlürft Austern im Festzelt oder trinkt Pimm’s - eine süßlich-herbe Kräuterlikörlimonade mit einem Minzeblatt und einer Erdbeere. Die Erdbeeren scheinen ausgegangen zu sein. Jedenfalls schwimmt am Sonntag anstatt dessen ein Stück Gurke im Glas.
Ab und zu kommt ein Rennen über die auf zwei Bahnen reduzierte und im K.O.-System befahrene Regattastrecke. Vorbei an weißen Boots- und Festzelten, von modernster Technik begleitet, gefilmt und auf große Monitore übertragen, gleichzeitig auf herrlich altmodischen Schiebetafeln graphisch entlang des Streckenverlaufs dargestellt; verfolgt von einem ebenso formschönen wie riesigen Schiedsrichterboot, in dem sämtliche Mitglieder des Regattastabs samt Vorstand des britischen Ruderverbandes mitzufahren scheinen. Simons Katamarane sind heute bei einem geduldigen Verscheuchen der heiligen Schwäne im Einsatz, die ihrerseits eher ungeduldig ihr angestammtes Balz- und Brutrevier beanspruchen und unbotmäßig in das Regattageschehen einzuschwimmen versuchen.
Dort geht es vordergründig eher um Meet & Great und Party. Und das nun schon über mehrere Tage. Auf dem Wasser sieht man einige historische Boote mit festem Sitz und Kastendolle, wie sie auch im örtlichen Rowing Museum ausgestellt sind. Von formell gekleideten Herren mit steifem Rücken in orthodoxer Technik gerudert und mit sonnenbeschirmter Dame auf dem Steuer-Fauteuil. Tausende haben sich in festlichem Dress hübsch gemacht. Die Dame trägt meist lang, mitunter mit Hüten, die mal einem Wagenrad, mal einem Vogelnest nachempfunden sind. Kniefrei? Keine Chance auf Einlass!
Unsere Ruderinnen stehen der eleganten Britin in nichts nach. Silvia z.B. ist in royalem Bonbon-Pink durchgestylt. Die Herren tragen typischerweise einen kunterbunten Blazer, anhand dessen der Kenner sie dem Ruderclub oder der Universität zuordnen kann, in der sie zu Höherem herangezogen wurden. Dazu eine helle Hose, Krawatte und Hut namens Boater (deutsch: Kreissäge). Auch wir Männer von der Ruhr sind nicht unvorbereitet: einheitlich blaues Jacket, weißes Hemd, Fliege (bow tie) in der jeweiligen Vereinsfarbe und mit einem Strohhut obendrauf. Mit einem wollenen, schwarzrotgold besetzten Blazer des Deutschlandachters sticht Volker heraus. Wer unseren Guy im Ohr hat, der hört ihn sagen: Hömma, wenn schon, denn schon! Diesmal hat er sich zur Feier des Tages vollkommen neu eingekleidet. Vom Panama-Hut bis zu einem Paar Halbschuhen - in Blau! Guy, ich habe heute ein Photo für Dich!
Der sonnige Tag endet mit einer Siegerehrung, die Ex-Premier Theresa May eloquent und recht straff durchzieht. Es werden gigantische Pokale in die Luft gestemmt, die zuvor - in Vitrinen ausgestellt -besichtigt werden konnten. Hünenhaft und blond, so wie sich der Engländer einen Nibelungen vorstellt, hält der Deutsche Oliver Zeidler den wegen seines Designs als „Ananas-Pokal“ verspotteten Ehrenpreis für den Sieg im Männer-Einer, der sog. Diamond Challenge, in der Ruderpranke. Er hat ihn nun schon zum dritten Mal in Folge gewonnen. Die Energie für ein Lächeln spart er sich für seine Rennen in Luzern, wo er eine Woche später anderen Kalibern davonfährt als hier in Henley. Wir lassen diesen besonderen Tag und diese so schöne Ruderwoche in einem Restaurant am Fluss ausklingen. Danke Volker. Danke Simon. Danke Guy.
Die Rückfahrt am Montag verläuft reibungslos und zügig. Wegen der unumgänglichen OP sind Ela und ihr Mann sind schon vorgefahren. Die Stöckchen-Schiene ersetzt nun Metall. In Essen fehlt Stephan ein Gepäckstück. Diesmal in Blau.
Stephan von Petersdorff
Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (von links nach rechts):
Paul (from Australia)
Wiebke Warnken
Ötte Dönhoff
Guido, Dorolis, Volker und Silvia Grabow
Norbert „Nono“ Kesslau
Heidi Liedtke
Martin Wocher
Ulrich Esser
Udo Althoff
Götz Büttner
Stephan von Petersdorff
Rolf Kilzer
Volkhart Mezger
Katharina und Dirk Schroeder
Nicht auf dem Foto:
Guy Pfeffermann
Manuela und Kai Buck
Winfried Hohenhorst