Skip to main content

impressionsleiste

1987 Michelstadt

 

Gustav Adolf Wüstenfeld: Impressionen — Erinnerungen an eine Wanderung


Sie war klein, temperamentvoll und stammte aus der Türkei. Empfahl uns zum Abendessen Räucherlachs mit grüner Soße, danach Lammkeule, Wirsing natur, Kartoffeln, Salat. Bei knisterndem Kaminfeuer brachte sie uns Bier. Wir hatten Durst, und wer wandert oder rudert, weiß, wie gut der Gerstensaft am Abend schmeckt. Hausgemachte Rote Grütze mit Vanilleeis, Früchteteller mit Himbeersoße oder Zwetschgensülze mit Rotwein und Rum, Vanilleeis. Noch heute läuft dem Chronisten beim Schreiben dieser Zeilen das Wasser im Munde zusammen.

Das neue Bier kam und während der Gerstensaft in den durstigen Kehlen verschwand, dachten wir an die Römer, auf deren Spuren wir heute durch die Wälder des Odenwaldes, zwischen dem Main bei Obernburg, dem Jagdschloß Eulbach und Michelstadt gewandert waren. Nach gut dreistündiger Autobahnfahrt hatten wir den Bus in Obernburg auf einem Parkplatz abgestellt, die Rucksäcke geschultert und die Wanderstrecke 6 nahm uns auf. Zusätzlich wies ein römischer Wachturm den westlichen Limeswanderweg, einst Grenzlinie zwischen dem freien Germanien und dem römischen Besat-zungsgebiet aus. Mal befanden wir uns auf der Grenze, mal durch­streiften wir das unbesetzte Gebiet, um auch dann schon wieder auf der römischen Seite zu laufen. Hinweistafeln gaben Auskunft über die Bedeutung der noch sichtbaren römischen Mauerreste. Eins hatten wir mit den Bautrupps der Cohors  I Sequanorum et Rauracorum gemeinsam, sie und wir mußten uns auf unsere Füße verlassen. Mal führte der Weg durch dichtes Tannengehölz mit aufgeweichtem Boden, dann war es ein trockener Wirtschaftsweg, dem der Wanderweg nicht lange treu blieb. Eine Wiese war zu überqueren — wo ging es weiter? Das Wanderzeichen war verschwunden! RCW halt! Genaues Studieren der Karte, mit dem Kompaß die Himmelsrichtung feststellen, Gelände und Karte vergleichen. Geradeaus weiter, da muß der Weg sein — es stimmte. Ein Wanderzeichen war jetzt zu sehen. Hilfsmittel, wie Kompaf3 und Schrittzähler sowie ein geeigneter Daumen für das Kartenblatt 1:50 000 sind eine gute Versicherung. Erfahrene Wanderer kennen den Daumen mit der genormten Breitel

Das Essen wurde serviert und für eine Weile war die Runde recht schweigsam. Mit dem Hotel „Drei Hasen“ halte die Wanderplanung das richtige Haus am Ort getroffen.

Erfährt man doch erst am Samstagmorgen, nachdem sich die Wanderer im Bus versammelt haben, wohin die Tour geht. Es sei hier nur an den Harz, den Teutoburger Wald, den Vogelsberg oder an „flaches“ Land, an Stade erinnert. Nach dem Essen kam die Unterhaltung wieder auf. Wir sprachen erneut über die Römer, über Politik und „Sonstiges“. Sichtverbindung bestand zwischen den einzelnen Wachtürmen, Sichtverbindung brauchten wir auch zur Kellnerin, wenn ein neues Gemäß erforderlich wurde. Noch einmal lag die Karte am heutigen Abend auf dem Tisch. Die Route für den morgigen Sonntag sollte festgelegt werden. Nach den gelaufenen 28 km wollten wir am Sonntag nur 16 km erwandern. Zeitlich war es nicht anders möglich. So bestellten wir für 9 Uhr eine Taxe, die uns nach Bad König bringen sollte. Für 8 Uhr war das Frühstück angesetzt, und den Frühaufstehern blieb Zeit genug, einen Rundgang durch das noch schlafende Michelstadt zu machen. Acht Jahre vor der Entdeckung Amerikas wurde das historische Rathaus erbaut. Ein Griff an die Kirchentür, sie war schon geöffnet. Warum nicht hineingehen? Der Küster war gerade dabei, herbstliche Blumen für den sonntäglichen Gottesdienst auf den Altar zu stellen. Nach einem „Gutenmorgengrui3“ erfuhr der frühe Besucher etwas über das Alter der Kirche, erbaut 1461, und über die Grafen von Erbach­Fürstenau, die den Renaissance-Brunnen auf dem Marktplatz gestiftet haften. Ein paar Minuten und dann drängte die Zeit.

Zweimal mußte das Taxi zum Einstieg in die Wanderroute fahren. Ein frischer Wind kam auf und vertrieb die letzte Müdigkeit. Die ersten tausend Meter benötigt man zum Einlaufen, doch mit jedem Schritt geht es dann besser.

Gegen Mittag erreichten wir Lülzelbach. Ein kleiner Ort; aber mit einer Kneipe, wie man sie auf einer Wanderung braucht. Die Rucksäcke und Mäntel wurden im Nebenraum abgelegt, in der Gaststube war kein Platz. Auf dem Flur „hauste“ ein Papagei, der Aufpasserdienste versah. Und zur Toilette mußte man durch drei Türen und über den Hof. Aber sauber! Die Wirtin kochte und servierte selbst, es schmeckte und wir waren recht laut. Die anderen Gäste im Raum hörte man kaum.

Nach einer halben Stunde mußten wir weiter zu den Römern, bergan durch die Stadt und dann hatte uns der Wald wieder. Der Wanderweg war gut gezeichnet und der Kartenleser verließ sich auch hier auf sein Blatt. Mal begegneten uns auch Menschen, doch meistens waren wir allein. Am frühen Nachmittag erreichten wir den Parkplatz unweit des Mains. Im Bus machten sich bequem: Uwe Kampmann, Karl Berghoff, Etzel Winkler, Thomas Blumberg, Hartmut Daniel und Gustav Adolf Wüstenfeld. Dieter Borgmann fuhr wieder den Bus. Die Rückfahrt verlief gut und er brachte jeden bis vor die Tür.

Ein Ruder-Wanderer ging mit schwerem Schritt zum Gartentor und blickte nur geradeaus, ein anderer sprang aus dem Bus und lief ins Haus. Der eine hat halt Blasen an den Füßen, der andere hat keine, was machts, ein Wanderer kennt keinen Schmerz!

Die Wanderung war vorbei, doch das Erlebte klingt noch lange nach...

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.