1992 AH-Weserachter
Weserfahrt mit MolI‘s Junge
Weser-Wanderfahrt und Moll‘s Junge sind zwei Begriffe ‚ die die Herzen einiger Ruderrecken im RCW Jahr für Jahr so gegen Ende der Rudersaison höher schlagen lassen. In diesem Jahr waren es zwölf Ruderkameraden, Karl Berghoff, Karl Biedermann, Dieter Borgmann, Johann Böhme, Hans Falk, Siegfried Held, Udo Kemmer, Hans-Gerd Kirsch, Hermann Kolanowski, Helmut Lingnau, Gustav Limke und Gerd Locher, die die 155 Km lange Strecke angehen wollten. Man traf sich am Freitag - es war der 2. Oktober 1992 - gegen 16.00 Uhr, um das Boot auf den Weg nach Reinhardshagen zu bringen. Das Radio warnte uns vor einem Stau auf der Autobahn in Richtung Kassel, was uns veranlasste, über die Landstraße zu fahren und standen prompt im Stau auf der B1 . Nun musste ein Rücklicht am Achter angebracht werden, was den Praktikern unter uns schließlich auch gut gelang. Aber am Ziel waren wir dann erst so spät ‚dass die per Bus viel später gestarteten Ruderkameraden schon lange da waren. Diese waren ja auch Autobahn gefahren.
So nun glücklich vereint, verteilte Sherry Kirsch erst einmal “Rettungsstäbchen“, was aber ohne Gebrauchsanweisung mehr Ratlosigkeit zur Folge hatte und zu wilden Spekulationen Anlass gab. Der nächste Morgen dämmerte heran, was vor allem an einem mehr als kargem Frühstück zu erkennen war.
Das erleichterte uns den Start sehr und ab ging es nach Gieselwerder. Sorge machten wir uns über den Wasserstand, doch die war unbegründet, die Minen hellten sich auf, Punkt neun erfolgte der erste Ruderschlag zur ersten 8,3 Km langen Etappe. Es wehte ein frischer Wind, die Sonne hatte sich noch nicht richtig durchgesetzt und so herrschte Ruhe im Boot. Jeder ruderte still vor sich hin und hing seinen Gedanken nach. Der Schlagmann meinte, bei der augenblicklichen Schlagzahl schaffe man 15 Flusskilometer. So bleibt selbst bei harter Ruderarbeit immer noch ein Blick für die Landschaft, für Städte und Dörfer. An Gieselwerder, anerkannter Luftkurort am Reinhardswald, einem der größten zusammen hängenden deutschen Waldgebiete, ging es vorbei, Karlshafen folgte, seit 1699 eine Hugenottensiedlung. Fürstenberg mit seiner Porzelanmanufaktur im Schloss wurde passiert, dann Höxter, bekannt als alte Hansestadt mit geschlossener Altstadt und schönen Fachwerkhäusern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die letzten Stationen des ersten Tages waren Reichsabtei und Schloß Gorvey, gegründet 822 und Grabstätte Hoffmann von Fallersleben, sowie Bodenwerder, bekannt als die Heimat des Baron von Münchhausen.
Im Hotel „Haus am Berg“ in Bodenwerder, allen Ruderern der Weserwanderfahrt bestens bekannt, war der Empfang sehr herzlich. Nach einem Bummel durch das Städtchen folgte das Abendessen, für die der Wirt eine „Kleinigkeit“ gegrillt hatte. Er muss bei Ruderern wohl einen guten Appetit vermuten. Es wurde ein gemütlicher Abend und mancher konnte seine „Verwandtschaft“ mit Münchhausen unter Beweis stellen.
Der nächste Morgen, der zweite Tag, sah beim Frühstück noch durchweg fröhliche Gesichter. Das änderte sich, als wir unsere Nasen zur Tür herausstreckten. Ein verhangener Himmel, ein unangenehmer kalter Wind empfing uns. Da hieß es Windjacken an, Mützen auf, hinein ins Boot und warm rudern. An der Schleuse in Hameln staunten wir über einen für Weserverhältnisse riesigen Pott, der mit Schlepper vorn und Schlepper hinten und einem Polizeiboot als Begleitung zu Tal gebracht wurde. Das Schleusen dieses großen Pottes in der leicht gekrümmten Schleuse forderte seine Zeit. Für uns war es eine willkommene Ruhepause.
Auch die Sonne hatte die Wartezeit genutzt und stand nun strahlend am Himmel. Das besserte die Stimmung sofort und wir ruderten weiter, wobei wir zwischen Flusskilometer 171 und 172 ein besonderes Kuriosum sehen konnten. Als nämlich die Weser seinerzeit vermessen wurde, hatte man in Hann. Münden und in Bremen gleichzeitig mit den Arbeiten begonnen. Als nun beide Vermessungstrupps zusammen trafen, stellte sich heraus, dass die letzte Strecke zwischen beiden Arbeitswegen nicht 1000 sondern nur 600m lang war. Man behalf sich damit, dass man zwischen diesen beiden Kilometermarken alle 100m einen Buchstaben als Markierung setzte.
Hameln, die sagenumwobene Stadt des weltberühmten Rattenfängers war die nächste Stadt, an der wir vorbeifuhren. Sie ist das wirtschaftliche Zentrum des Weserberglandes und eine Hochburg der Weserrenaissance. Im 30 jährigen Krieg hatte der Gegenspieler Wallensteins, Tilly hier sein Hauptquartier. Als nächstes kam Rinteln in Sicht, die ehemalige Hauptstadt der Grafschaft Schaumburg, bis wir in Vlotho bei Flusskilometer 183 unser zweites Tagesziel erreichten.
Hier erwartete uns eine freudige Überraschung. Denn wir fanden einen neu gebauten Steg. So war alles, was nun folgte, viel leichter; in Rekordzeit konnten wir die Heimreise antreten. Dem Organisator dieser Fahrt Sherry Kirsch, sei auch an dieser Stelle herzlich Dank gesagt.
Karl Berghoff