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1991 AH-Wanderfahrt auf der Elbe

 

Begegnung mit der Vergangenheit

Die Elbe von Leitmeritz (CSSR) bis Dresden

 

Eine Wanderfahrt in den neuen Bundesländern ist mehr als eine reine sportlich ­touristische Attraktion. Es ist auch eine Reise in die Vergangenheit, die uns jetzt nach der Wende wieder ungeteilt zugänglich ist.

 

Am Mittwoch vor Fronleichnam starteten 23 Alte Herren in vier komfortablen Wohnwagen —eine empfehlenswerte Alternative bei Wanderfahrten — ins tschechische Leitmeritz in Nordböhmen, um von dort die Elbe nach Dresden zu befahren.

Kurz vor Leitmeritz wurde Terecin passiert, von Leitmeritz nur durch eine Brücke über die Elbe getrennt. Wer kennt schon Terecin? Doch dahinter verbirgt sich der deutsche Name Theresienstadt, und der eine oder andere erinnert sich, daß Josef II von Habsburg 1780 hier eine Festung gebaut und nach seiner Mutter Maria Theresia genannt hat. Er erinnert sich vielleicht auch, daß ein Serbe, ein Herr Princip, von 1914 bis 1918 hier gefangen war, weil er in Sarajewo den österreichischen Thronfolger erschossen hatte und damit den ersten Weltkrieg auslöste.

Alle aber wissen, daß dieses Stadt uns Deutsche auch an eine Zeit erinnert, die wir so gern vergessen möchten, die aber noch lange leidvoll dem deutschen Namen verbunden bleibt.

 

In Leitmeritz ist die von der böhmischen Seite des Riesengebirges kommende —hier Labe genannte — Elbe schon recht breit. Die Gegend ist noch flach und von den vielgepriesenen Obstgärten sieht man wenig. Das liegt am Braunkohlebergbau, der zwischen Leitmeritz und Aussig an den Fluß heranreicht. Wir sind auf unserer Fahrt von Witten über Kassel, Eisenach, Chemnitz, Marienberg, Komotau mitten durchs Revier gefahren, reichlich trostlos, aber das ist ja in allen Bergbaurevieren der Welt kaum anders.

An der Elbe sieht man die großen Umladestationen, die die Schleppkähne füllen. Diese waren im tschechischen Teil der Fahrt unsere ständigen Begleiter und so langsam, daß wir sie mit unseren Booten ein- und überholt haben. Man fragt sich, wie es da mit der Produktivität steht, wenn auch die Zeit im Massengutverkehr nicht den gleichen Stellenwert hat wie anderswo.

Einladend ist der Fluß nicht unbedingt. Braun ist er und häßliche weißgelbe Schaumkronen treiben vorbei. Das liegt nicht an der Braunkohle allein, schon im etwa 70 km Prag und am ganzen Fluß entlang behandelt man den Fluß wenig zuvorkommend. Man fühlt die große, unbedingt notwendige Sanierungsaufgabe fast körperlich.

 

Etwa 10 km flußabwärts, an Lobösitz vorbei, an der böhmischen Pforte, beginnt das böhmische Paradies. Lobositz — das erinnert, daß hier 1756 die erste Schlacht im siebenjährigen Krieg geschlagen wurde. Damals ging es um Schlesien, aber der Krieg spielte gleichermaßen in Böhmen und Sachsen. Und wenn man bedenkt, daß Königgrätz elbaufwärts auch nicht allzuweit entfernt ist, wo 110 Jahre später Preußen und Österreich zum letzten Mal aufeinander trafen, dann spürt man den Atem der Ge-schichte, wurde sie doch hier als deutsche und auch europäische Geschichte maßgebend geprägt. Warum, so fragen manche Leute, spricht man immer nur vom Rhein als deutschen Schicksalsfluß, die Elbe steht da wohl doch kaum zurück?

 

Von Aussig an setzt sich die anmutige Hügellandschaft gegenüber der Industrie durch und rechtfertigt den Namen „böhmisches Paradies“. Aussig gegenüber liegt der Schreckenstein. Ludwig Richter ist hier auf seiner geplanten Reise nach Italien hängen geblieben, weil er es, sei­nem Tagebuch zufolge, so schön fand, daß es in Italien nicht besser sein könnte. Ein wenig hat aber wohl auch das fehlende Geld eine Rolle gespielt. Seine „Überfahrt am Schreckenstein“ gehört zu seinen bekannten Gemälden; auf Schloß Pillnitz kann man es bewundern. Richard Wagner ist hier gewandert und hat auf dem Schreckenstein gewohnt. Seine Venusberg-Szenen im Tannhäuser haben hier Gestalt ‘angenommen. Tetschen war Endstation am ersten Tag.

Das böhmische Paradies geht nun in die böhmische Schweiz über, wie man den tschechischen Teil des Elbsandstein­gebirges nennt. Nun ist auch die Grenze nicht mehr weit. Aber wenn man nicht anstelle der tschechischen Ortsnamen nun deutsche Ortsnamen lesen würde, man könnte den Übergang zur sächsischen Schweiz nicht erkennen. Von Herrnskretschen (tschechisch) bis Schmilka (deutsch) ist die Elbe etwa 4 km „gespalten‘. Denn links heißt sie Elbe, und am Ufer erkennt man Züge der zur Zeit noch so genannten Deutschen Reichsbahn. Rechts heißt sie noch Labe, bis man nach einem strengen Blick eines tschechischen Zollbeamten auf uns und unser Paßbild endgültig nach Sachsen entlassen wird. Die Labe heißt nach 400 km für die restlichen 765 km nun nur noch Elbe.

 

Ganz stimmt es übrigens nicht, daß man den Übergang nach Sachsen nicht merkt. Sichtbar ist augenscheinlich ein Wohlstandsgefälle, denn im Böhmischen geht es noch viel einfacher zu als im Sächsischen. Uralt ist fast alles und renovierungsbedürftig. Man behilft sich wie man kann, und in Leitmeritz ebenso wie in Tetschen, wo wir in und bei den Bootshäusern übernachtet haben, war alles sauber, die sanitären Anlagen vor allem funktionierten einwandfrei. Da gab es keine Klagen.

 

Aber in Leitmeritz waren wir nicht angemeldet und in der Stadt gab es deshalb kein Restaurant, das 23 Ruderer verpflegen konnte. In Tetschen — angemeldet — war das möglich, aber zusätzlich ein Dessert zu ordern, war vergeblich. Nun, auch in Leitmeritz kamen wir zu einem reichhaltigen Essen, weil der Kastellan und seine zufällig aus Deutschland angereiste Schwester improvisierten — und darin scheint man Übung zu haben—, sodaß wir auch da voll zufrieden waren.

Wir waren am nächsten Tag nur ein wenig erschrocken, in Leitmeritz nicht anders als in Tetschen, daß alles, einschließlich der Getränke — und die lassen Ruderer in der Regel nicht stehen — nur jeweils 300,— DM gekostet hat. Der Preis sagt nicht automatisch etwas über Realeinkommen und Lebensstandard, daß sie aber weit unten liegen, das dürfte hieran trotzdem zu erkennen sein. Unübertroffen aber war die Gastfreund­schaft, wir werden sie uneingeschränkt in guter Erinnerung behalten.

 

Bad Schandau, nächster Ort nach Schmilka, macht einen recht gepflegten Eindruck. Es ist das führende Erholungsbad dieser Gegend. Wir haben es nur im „Vorbeigehen“ gesehen, denn terminbedingt hatten wir nur eine kurze Mittagsrast bei den uns begleitenden Wohnwagen gemacht.

Sicherlich wird man bei genauem Hinsehen auch dort Mängel sehen, als das inzwischen allgemein bekannte Merkmal einer langen staatlichen Mißwirtschaft. Aber unübersehbar ist auch der Wille, dies nun grundsätzlich und endgültig zu überwinden. Auch die Elbe selbst zeigt bereits ein freundlicheres Gesicht. Häßliche gelbweiße Schaumkronen sieht man nicht, und das nach wie vor braune Wasser muß man ja nicht allzu gründlich in Augenschein nehmen. Dazu trägt aber auch die weiße Flotte bei, die uns nun bis Dresden oft begegnet, weiße, schön anzusehende Raddampfer, manche schon im biblischen Alter, ergänzt durch die Luxusaus­führungen der „Köln-Düsseldorfer“, die aber fast noch ein wenig deplaziert erscheinen.

 

Unvergleichbar aber ist die sächsische Schweiz. Vom Elbufer geht es steil hinauf, Bastionen, Nasen, Spitzen, Kegel, Orgelpfeifen aus dem charakteristischen Sandstein durchbrechen immer wieder das Grün der Wälder und hinterlassen jedem, der den Fluß befährt, und im besonderen dem, der es im Ruderboot tut, einen unauslöschlichen Eindruck.

 

Mächtig erhebt sich plötzlich am linken Ufer die Festung Königstein, vor 400 Jahren begonnen und unter August dem Starken Anfang des 18. Jh. fertiggestellt, eine der eindrucksvollen Festungen Deutschlands und nie erobert.

Bemerkenswert ist der Brunnen. 6 Jahre hat es gedauert und 152 m war er schließlich tief, bis man auf Wasser traf, aber die Bewohner versorgt er heute noch damit. Viel Prominenz wurde hier festgehalten, z. B. August Bebel und nach 1940 Generäle der französischen Armee. Einer entfloh trotz Ehrenwort (General Giraud) und kam doch zu spät, denn de Gaulle hatte schon alle Fäden in der Hand. Auch 450 Kisten mit Gemälden der Dresdner Museen und Galerien waren im 2. Weltkrieg hier eingelagert. Deswegen sind sie am 13. Februar 1945 auch nicht verbrannt.

 

Wenige Kilometer flußabwärts kommt dann auch die Bastei in Sicht, das weitberühmte Felsenmassiv. Vielbesungen und ein derartiger touristischer Mittelpunkt, daß man manchmal um seinen Bestand fürchtet und Überlegungen über Besucherbeschränkungen anstellt. Hinter der Bastei liegt der Amselgrund, der Vorbild wurde für CarI Maria von Webers Wolfsschlucht im Freischütz.

 

In Pirna ist das Elbsandsteingebirge durchstoßen. Hier war auch das Ende des zweiten Wandertages. Im Vergleich zur Durchfahrt durchs Gebirge wirkt die Gegend eintönig, aber das stimmt nicht. Mit ihren Hügeln, Wiesen und Gärten hinterläßt sie einen freundlichen, einladenden Eindruck. Pirna, heute eine mittelgroße Industriestadt, war früher ein wichtiger Handelsplatz zu den Sorben östlich der Elbe, später kamen die Sandsteinquader von hier nach Dresden für Zwinger, Schloß, Kirche und Augustusbrücke. Heute gibt es viel Chemie, sicher nicht zur Freude der Elbe.

 

Die letzten Kilometer am Samstagvormittag zeigten uns, je mehr wir uns Dresden näherten, wie man wohl früher in Dresden gelebt haben mag. Viele stolze Villen sieht man am Ufer, doch daß sie alle aus einer vergangenen Zeit stammen, das sieht man auch. Wir ruderten an Schloß Pillnitz vorbei, auch von der Elbe her ein imponierender Bau und Zeuge einstiger Fürstenmacht.

 

Dresden-Blasewitz, auf dem Gelände der SC-Einheit Dresden, klangvoller Name vergangener Ruderherrlichkeit, war die letzte Station. Nach Cotta ging es nicht mehr, der Dresdner Ruderclub ist zur Zeit eine Baustelle. Manche ruderten am Nachmittag noch bis zur Augustusbrücke und wurden dafür mit viel Anstrengung gegen den Strom „bestraft“.

Aber Dres­den aus der Ruderperspektive mag für vieles entschädigen. Die anderen bevorzugten die Straßenbahn. Bei aller Vorsicht vor einem Urteil nach nur flüchtigem Besuch: Dresden hat manches von seinem früheren Charme vor der Zerstörung wieder erhalten. Auch abgesehen von den Repräsentationsbauten, vom Zwinger bis zur Brühlschen Terrasse, z. T. auch schon vor der Wende restauriert, zeigte sich Dresden, begünstigt durch strahlenden Sonnenschein, der uns übrigens die ganze Wanderfahrt be-gleitet hatte, im freundlichen Licht. Es gilt auch hier: Alles ist alt und vieles bedarf dringend der Reparatur, aber daß vieles schon angepackt wurde und vieles schon anders geworden ist, das ist auch deutlich zu sehen. Bei unserem Besuch am Freitag in der Herkuleskeule wurde das bestätigt. Unübertrefflich, bestes Kabarett vermittelnd, nahm man die Zustände und Mißstände der Vereinigung aufs Korn, aber auch sich selbst.

 

Am Samstagabend war ein gemütlicher Abend mit unseren Freunden vom Dresdner Ruderclub von 1902, gerade wieder neu erstanden, Abschluß unserer Wanderfahrt. Dabei hatten ein Teil der 20 Wittener, die inzwischen auswärtige Mitglieder des DRC sind, Gelegenheit, ihren dortigen 1. Vorsitzenden Klaus Jakob auch persönlich kennen zu lernen. Die Stimmung war großartig, Wilfried Güthoff spielte wie gewohnt perfekt auf seinem Akkordeon, wir anderen sangen dazu laut und schön, nur scheint jeder etwas anderes darunter zu verstehen. In lebhaften, freundschaftlichen Gesprächen wurde die Bindung zwischen DRC und RCW weiter gefestigt.

 

Aber wir hatten auch die Gelegenheit, aus erster Hand zu hören, was die Menschen in den neuen Bundesländern seit der Wende bewegt. Man versteht nun besser, daß man sich dort nach 45jähriger politischer Bevormundung etwas ratlos der anscheinend so perfekten Ver­waltungsmaschinerie aus den alten Bundesländern ausgesetzt sieht. Man fühlt sich zu recht oder zu unrecht wieder manipuliert, hatte man im Überschwang der Wende doch gehofft, weit mehr politisch mitgestalten zu können.

Aber man erkennt inzwischen auch die Freiräume, die sich allmählich auftun und die individuelle Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Wie sehr sie von unseren Dresdner Freunden, früher durchweg im Dienste der SC-Einheit, genutzt werden, das wurde uns an mehreren Beispielen deutlich demonstriert. Es zeigt, daß das Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands begonnen hat. Man spürt— zaghaft, aber doch merkbar—wachsende Zuversicht. Es war ein schöner, sehr zufriedenstellender Ausklang unserer Elbefahrt. Und allgemein: Es war eine großartige, erlebnisreiche Wanderfahrt.

 

Werner Liebig

 

An der Wanderfahrt nahmen teil:

Karl Berghoff, Karl Biedermann, Thomas Blumberg, Fritz Braun, Horst v. Diecken, Wilfried Güthoff, Siegfried Held, Werner Katthagen, Rolf Kernebeck, Gerhard Kirsch, Siegfried Knoop, Franz G. KroeIl, Werner Liebig, Gustav Limke, Helmut Lingnau, Gerd Locher, Horst NoII, Dieter Peters, Anton Schnurr, Dieter Wenig, Dieter Werner, Klaus Wottrich.

Planung und Durchführung der Fahrt durch Horst Noll            

 

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