60. Stammtischjubiläum
Hallo zusammen,
vor 10 Jahren, anlässlich des 50. Geburtstages, habe ich gesagt, dass es nichts Besonderes ist einen 50. Geburtstag zu feiern.
Heute wiederhole ich mich und beziehe das auch auf den 60. Geburtstag.
Es sind nicht viele Männer hier, die das nicht schon an sich selbst erlebt haben.
Also, ein 60. Geburtstag nichts Besonderes? Bei uns Männern nicht, da ist das normal, es sei denn, das Schicksal hat es nicht so gut gemeint.
Aber bei einem Stammtisch sieht das schon etwas anders aus. In unserm Fall bedeutet das, dass sich eine Männerrunde, über einen Zeitraum von 60 Jahren, wöchentlich trifft.
An einem Stammtisch. Das scheint mir sehr wohl etwas Besonderes zu sein.
Allerdings sollte bedacht werden, dass der Treibriemen der Stammtischabende, der gemeinsame Sport, hier, der Rudersport, war und ist. Sich nach dem Rudern auf ein Bier zusammenzusetzen, bot sich an und bietet sich immer noch an. Obwohl heutzutage mancher Mann sich damit nicht mehr anfreunden kann.
Die Männer der ersten Stunde, unseres Stammtisches, waren:
Hugo Fischer, Heinrich Gruschke, Lutz Haarmann, Helmut Hasenohr, Robert Hermes, Dr. Ulrich Hesmert, Rolf Jungjohann, Heinz Kasischke, Friedrich Wilhelm Moll, Dr. Kurt Soeding, Willi Walkenhorst und Herbert Wiesenthal.
Sie sind heute nicht mehr unter uns, aber ihre Namen sind vielen von uns noch geläufig. Einige von ihnen, sind vielen von uns, auch noch persönlich bekannt.
Sie haben sich am 16. Juni 1955, also heute vor 60 Jahren, zusammengesetzt, um einen Stammtisch zu gründen. Den Donnerstag-Stammtisch !
Die Gründungsmitglieder gibt es nicht mehr, aber es gibt noch Zeitzeugen, die damals schon aktiv gerudert haben und einige davon sind heute hier bei uns.
Es sind dies Werner Rau, Siegfried Knoop und Klaus Wottrich. Sie waren damals zu jung und noch nicht stammtischtauglich. Das gleiche gilt auch für Peter (Pitze) Wilhelm, der aus familiären Gründen heute leider nicht hier sein kann.
Die Idee zur Gründung eines Stammtisches, entstand etwa zwei Wochen vorher, als man in Trier einen AH-Achter gewonnen hatte. Die damaligen Gegner waren der RC Kiel und der RTHC Bayer Leverkusen.
Es existierte zwar schon ein Stammtisch, der Freitagsstammtisch, zu dem es aber nicht so den rechten Zugang gab. Also gründete man einen eigenen, den Donnerstag-Stammtisch.
Zum Präsidenten wurde der Ruderkamerad Heinrich Kasischke gewählt. Friedrich-Wilhelm Moll, dem damaligen großen Förderer des RCW, wurde die die Ehrenpräsidentschaft angetragen.
Der Stammtisch sollte wöchentlich am Donnerstag stattfinden.
Und als man schon einmal bei den Formalien war, hat man dann gleich auch noch eine Satzung erstellt und verabschiedet.
Da der Wortlaut dieser Satzung heute nicht mehr allen Stammtischmitgliedern bewusst zu sein scheint, werde ich die Satzung jetzt wieder in Erinnerung bringen:
Der Präsident wird Anfang Mai für ein Jahr gewählt und herrscht diktatorisch.
Der Kassierer hat die Gelder des Stammtisches zu verwalten. Er ist nur dem Präsidenten gegenüber verpflichtet, den Kassenstand zu nennen.
Bierrunden werden mit einem Groschen oder mehr honoriert. Nach heutiger Währung sind das 50 Euro-Cent. Der Spender ist vom Groschen befreit.
Die Preise für Runden anderer Art werden vom Kassierer jeweils festgesetzt. Widerspruch ist zwecklos.
Der Stammtisch kann erst eröffnet werden, wenn mindestens 11 Mitglieder anwesend und es 20 Uhr oder später ist.
Der Stammtisch wird durch den Präsidenten eröffnet. Dazu ist ein Underberg zu trinken.
Wer Bier umschüttet oder eine Runde antrinkt, zahlt eine Runde Bier.
Bei Wanderungen oder auswärtigen Stammtischen hat der Präsident die mobile Stammtischglocke mitzuführen.
Personen weiblichen Geschlechts sind nicht zugelassen. Eine Kellnerin ist geduldet.
Zum Stammtisch gehört man erst, wenn man mindestens eine Gastrunde gegeben hat und von den übrigen Mitgliedern akzeptiert wird.
Den Wortlaut dieser Satzung habe ich alten Aufzeichnungen entnommen. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass unser langjähriger Präsident Gustav-Adolf Wüstenfeld, an der Formulierung des Textes beteiligt war, obwohl er an der Gründung des Stammtisches definitiv nicht beteiligt war.
Es ist überliefert, dass zu der damaligen Zeit der Eröffnungs-Underberg immer von Friedrich-Wilhelm Moll, dem Ehrenpräsidenten, spendiert wurde. Vor 10 Jahren, zum 50. Geburtstag, hat dessen Sohn, Friedrich-Wilhelm Moll jr., diese Geste übernommen. Heute, zum 60.Geburtstag, ist der Urenkel des damaligen Ehrenpräsidenten, Jonas Moll, in die Bresche gesprungen.
Jonas, herzlichen Dank und herzlich willkommen.
60 Jahre Donnerstag-Stammtisch.
In diesen Jahren ist viel passiert, es hat sich vieles zugetragen. Sportlich und gesellschaftlich.
Ich möchte davon absehen, aufzuzählen, wie viele Stammtischabende, Wanderfahrten, Wanderungen, Arbeitseinsätze, festliche Veranstaltungen, Besichtigungen und weitere Aktivitäten auf Initiative des Stammtisches stattgefunden haben.
Ich möchte aber an einigen Beispielen aufzeigen, was damals war und was heute ist.
Damals war Aufbruchsstimmung. Das Ende des 2. Weltkrieges lag erst 10 Jahre zurück.
Es war Aufbruchsstimmung und Aufbauphase.
Im privaten familiären Bereich, im beruflichen Bereich oder auch im geschäftlichen Bereich.
Die RCW-Analen besagen, dass bereits schon im Jahr 1946, also 1Jahr nach Kriegsende der Ruderbetrieb wieder aufgenommen wurde und in diesem Jahr bereits 12 Siege zu verzeichnen waren.
Die damaligen Mitglieder des Stammtisches, die natürlich auch allesamt aktive Ruderer waren, waren gefordert. Als Familienvorstand, als Mitarbeiter in einem Unternehmen, als selbstständiger Handwerker, als Unternehmer oder als Beamter und eben als Regattaruderer.
Wir haben gerade in diesem Frühjahr in der Berichterstattung der Medien unter dem Titel „70 Jahre nach Kriegsende“ Bilder gesehen von zerstörten Städten von zerstörter Infrastruktur.
Heute verlangt uns das größte Bewunderung ab, dass und wie man damals den Mut und die Initiative hatte, einen solchen Neubeginn zu starten.
Und zu diesem Neubeginn, gehörten eben auch der Ruderbetrieb und die Gründung eines Stammtisches.
Vielleicht war das auch eine Therapie um den ganzen anderen Scheiß zu vergessen.
Was war im Jahr 1955 sonst noch so los?
Theodor Heuss war Bundespräsident, Konrad Adenauer war Bundeskanzler und der Außenminister hieß Heinrich von Brentano.
Die Pariser Verträge traten in Kraft und die Bundesrepublik Deutschland wurde wieder souverän.Der Start der wiedererstandenen Deutschen Lufthansa, war für alle das Zeichen der wiedergewonnenen deutschen Souveränität.
Die Bundesrepublik trat, gegen den Willen der Opposition, der NATO bei.
Im September besuchte Konrad Adenauer, als erster bundesdeutscher Staatsmann, die Sowjetunion.Eine sowjetische Kompanie spielte zur Begrüßung das Deutschlandlied.
Eine Woche lang wurde zäh und hartnäckig verhandelt. Man fand eine gemeinsame Linie. Das Abkommen über den Diplomatenaustausch wurde unterschrieben und Bulganin versprach dem Bundeskanzler, dass die Kriegsgefangenen heimkehren werden.
In Bonn wurden die neuen deutschen Streitkräfte geboren. Zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation.
In der Schweiz wurde das europäische Kenforschungslabor CERN errichtet.
Ein Jahr zuvor hatte es das Wunder von Bern gegeben. Deutschland ist der amtierende Fußball-Weltmeister.
Rot-Weiß Essen wurde Meister in der Endrunde um die deutsche Fußballmeisterschaft. Wer kann sich noch erinnern, an August Gottschalk und Helmut Rahn?(Rahn müsste schießen)
DFB-Pokal-Sieger war der Karlsruher SC.
Und: In Witten gründete sich der Donnerstag-Stammtisch.
Wie war damals die Situation in Witten?
Es gab das Gussstahl-Werk Witten und es gab viele familiengeführte Unternehmen. Die Inhaber und die leitenden Angestellten dieser Firmen hatten in der Regel einen Bezug zum RCW und damit auch zu den Stammtischen.
Die Straßenbahn war das öffentliche Verkehrsmittel, man fuhr Fahrrad und manche Leute hatten auch schon ein Auto.
Es gab keine Kopierer, aber Blaupapier um Kopien anzufertigen,
Rechenmaschinen im Büro waren handbetrieben,
Fahrkarten für die Bahn konnte man am Schalter kaufen und im Zug lochen lassen.
Und Geschäftsreisende und reiche Leute nahmen auch schon ein Flugzeug.
Es gab schon Fernsehen, aber in schwarz-weiß, das täglich um 0 Uhr mit dem Deutschlandlied endete
Oberbürgermeister in Witten war Fritz Reinke von SPD.
Der 1. Vorsitzende des Ruder-Club Witten hieß Hans Schüler-Bredt.
Und was ist heute?
Heute haben wir eine Bürgermeisterin – noch, sie gehörte mal der SPD an.
Bald haben wir einen neuen Bürgermeister, wieder SPD --- oder Bürgermeisterin, früher SPD.
Die CDU ist an diesem Amt wohl nicht interessiert.
Die Einwohnerzahl der Stadt Witten hat sich reduziert. Mit weniger als 100.000 Einwohnern ging der Status einer Großstadt verloren.
Die Wirtschaftsstruktur hat sich verändert. Die Geschäftstätigkeit der Firmen ist mehr international ausgerichtet. Witten hat aber immer noch namhafte international tätige Unternehmen.
Der Energiebereich hat sich neu erfunden. Nicht mehr die Kohle ist wichtigster Energieträger. Wind und Sonne sind heute die gefragten Energiequellen. Atomkraftwerke gab es damals noch nicht und heute nicht mehr lange. Der Energie-Umbruch ist in vollem Gange und in voller Diskussion.
Es gibt ein stark sanierungsbedürftiges Rathaus,
die Bahnhofstraße hat eine blaue Lichterkette, die leuchtet, wenn die Straßenbahn die Fußgängerzone durchfährt. Wenn es mal nicht leuchtet, fährt die Straßenbahn trotzdem.Die Haltestelle am Rathaus hat ein futuristisches Dach, das eigentlich nur für eine intensive Diskussion taugt. Und für die Kostenseite in der Bilanz.
Wir sprechen heute über Digitalisierung, Breitband und highspeed im Internet.
Die Straßen in Witten sind nicht Breitband und auch nicht highspeed-tauglich.
Und was ist mit unserem Stammtisch?
Die Stammtischmitglieder sind weitgehend nicht mehr in ihren Berufen tätig; und wenn, dann sporadisch.
Die sportlichen und sonstigen Aktivitäten sind reduziert. Man ist mehr oder weniger im Ruhestand.
Die Stammtischabende finden, wie seit eh und je, an jedem Donnerstag statt. Meistens mit recht guter Beteiligung. Aber der obligatorische Underberg ist nicht mehr opportun.
Die Verweildauer am Stammtisch hat sich reduziert. Es mag an den gesetzlichen Promillebeschränkungen liegen oder an der mangelnden Fähigkeit, den Gesprächspartner zu verstehen, wenn alle gleichzeitig reden.
Aber es wird noch geredet und diskutiert; manchmal sogar heftig. Und das ist gut so.
Die weltpolitischen und kommunalen Themen, bieten ja auch genügend Gesprächsstoff. Und ein Stammtisch hat immer genügend Experten für alle Probleme dieser Welt. Und trotzdem, der Aufbruch nach Hause erfolgt frühzeitiger als in früheren Jahren.
Und wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?
Ich habe keine Ahnung!
Ein potentieller Nachwuchs steht nebenan im Vorzimmer zum Stammtisch und kann sich offensichtlich noch nicht entschließen, sich zu setzen oder weiterhin stehen zu bleiben. Das ist wie ein Kampf gegen die Uhr.
Einerseits dort die noch robusten Alten, die die Sitzplätze und den schönen Tisch noch besetzt halten, andererseits gab es schon die ersten Knie- und Hüftoperationen. Auch Kreislauf- und Herzbehandlungen sollen schon erfolgt sein.
Eine Frage der Zeit, wie lange man das durchstehen kann.
Aber es gibt auch Annäherungen.
Gleichermaßen wird zu Beginn des Abends von Alt und Jung der Stammtischpräsident mit Handschlag begrüßt. Und hin und wieder gibt es Gelegenheiten mit einem gemeinsamen „Ruck-Zuck-Hinein“, einen Geburtstagsjubilar zu ehren.
Fazit:
Eine schöne Gemeinschaft, die da am Donnertagabend zusammen kommt. Man kann nur wünschen, auch für den RCW, dass diese Gemeinschaft noch lange erhalten bleibt.
Ich denke, dass eine solche Gemeinschaft ein ganz wichtiger Bestandteil in der Struktur des Ruder-Club Witten ist.
Das Fehlen dieser Gemeinschaft, der Stammtische, wäre für den RCW ein kultureller Verlust.
Danke für Eure Aufmerksamkeit.
Horst Noll