1988 Wasserkuppe, Rhön


Bekanntschaft mit den Geistern und Räubern der Rhön.

Um 5 Uhr läutete der Wecker, waschen1 anziehen, Rucksack packen, Verpflegung verstauen und das Ganze noch einmal gedanklich durchchecken, Kompaß, Wanderkarte, Prospekte des Wandergebietes, Wegemesser und zu guter Letzt den Schrittzähler am Gürtel werden nicht vergessen. Alles ist eingepackt! Noch einen Schluck Kaffee, von der Familie verabschieden und dann ganz leise durchs Treppenhaus und raus zur Bushaltestelle vorm Haus.

Wohin, das war die Frage; aber es gab noch keine Antwort. Um 6.30 Uhr starteten Johann Böhme, Karl Berghoff, Thomas Blumberg, Dieter Borgmann, Hartmut Daniel, Uwe Kampmann, Gerd Kirsch, Gustav Adolf Wüstenfeld. Um 7 Uhr sollte das Wandergebiet bekannt gegeben werden. So konnte man eine halbe Stunde lang spekulieren; aber geraten hat es nur einer. Die Rhön war es, nicht die Alpen, die Schweiz oder gar das Atlasgebirge. Auch nicht der Harz und nicht die Vogesen; aber wir kamen auf der Wanderung bis in den „Freistaat Bayern und das ohne Grenzkontrolle. Die Autobahnen waren leer, aber unser Bus ließ sich trotz guter Worte nicht zu höheren Leistungen bewegen. 110 km waren schon schnell und am Berg wurde es gemütlicher, der Diesel sparte seinen Kraftstoff. Nur die Militärkolonnen waren heute langsamer.

Drei Stunden war das Team für die richtige Wanderroute im Bus tätig. Es wurde gerädelt, gerechnet und diskutiert, dann war es so weit. Der Parkplatz an der B 279 lag fest, der Einstieg in die HW 5 war klar.

Auf einer Wanderung gibt es eine Reihe von Höhepunkten. Schlechte Wegstrecken, steile Anstiege, reißende Bäche, gemütliche Kneipen unterwegs, Berggipfel mit guten Aussichten. Auch in der Rhön sollte es wieder so sein.

Nur das Spiel der Farben in der Landschaft und am Himmel war hier ganz anders. Venezianisch rot, Ocker gebrannt und Braun waren die Töne der Äcker; Moos- und Wiesengrün die Wälder, vermischt mit herbstlichen Tonabstufungen. Preußisch-, Licht- und Kobaltblau hell, dazwischen etwas Grau, ließen die Ferne unwirklich erscheinen. Man muß es erleben, man muß es sehen und in der Erinnerung behalten.

Ober welche geologischen Forrnationen wanderten wir? Der Brockhaus sagt: „.. . Das Gebirge besteht meist aus eigenartig gestalteten Trachyt-, Phonolyth-, Basaltkuppen und Kegeln. Die bis 630 m Höhe reichende Grundmasse der Triasformation enthält erloschene Vulkane und Moore. Die südliche Rhön besteht aus flach kegeligen Massen mit dem Kreuzberg und dem Dammersfeld, 930 m. Gegen SW. erheben sich die bis 820 m hohen Schwarzen Berge. Die Hohe Rhön beginnt im Norden der Sinn, im Westen vom Kreuzberge und zieht gegen Nordnordost zur Quelle von Fulda und Ulster (Wasserkuppe mit Fuldaquelle 950 m über NN>. In den Höhenlagen ist das Klima im allgemeinen rauh. Große Schneemassen bedecken im Winter die Berggipfel, während im Sommer die Moore häufig Nebel bilden. Geringer Ackerbau von Getreide, Flachs und Kartoffeln. Fremdenverkehr.“

Wir lernten im Gasthaus Rhöngeist, Rhönräuber und Rhönfeuer kennen, es floß allemal aus der Flasche, ganz klar, brannte auf der Zunge und griff die Sinne an. Den Jägermeister hätte ich bald vergessen. Den trinkt man in der Pause am Wegrand, wie von vielen Wanderungen her bekannt. Nun ist‘s genug.

Von der „Alten Post“ in Gersfeld, 486 m, ging es unaufhaltsam aufwärts. Vorbei an der Frankfurter Hütte und auf einem Steilpfad weiter bergan. Schweißtreibend war der Aufstieg bis zum blauweißen Grenzstein in 840 m Höhe. Herrliche Aussicht auf den vor uns liegenden „Freistaat Bayern“. Jedoch die nahende Dämmerung machte sich schon bemerkbar. 220 m Abstieg über einen Wiesenhang folgten und welch ein Glück, das Hotel „Zum Lamm“ lag in der Ortsmitte. Wir brauchten nicht mehr zu steigen.

Die Gaststube war gut besetzt, doch ein Tisch war noch frei. Die Rucksäcke kamen in die Ecke, Bier wurde bestellt, ein zweites kam nach, beides war bald weg. Kaffee und Kuchen folgten, der Rhöngeist fehlte auch nicht. Zimmer für die Nacht in ruhiger Lage waren knapp; denn am Abend war Kirmes im Saal und die Musik nicht leise.

Am nächsten Tag, pünktlich um acht, wurde gefrühstückt. Einer mußte zweimal geweckt werden, doch dann war er da und später auf der Wasserkuppe waren die Spuren der Nacht verweht.

Eine Taxe brachte uns auf die Höhe von 951 m. Nach einer Fotopause am Fliegerdenkmal hatten wir bald den Einstieg in die HW 4 gefunden und munter ging es den Berg herunter. In Poppenhausen erreichten wir den tiefsten Punkt. Der nächste Streckenabschnitt führte uns durch einen Wald aufwärts, er war nur kurz; aber die 227 m Höhenunterschied waren nicht so ohne. Immer weiter auf dem Hessenweg abwärts nach Schmalnau. Ein kleines Kätzchen wurde auf den letzten Kilometern unsere ständige Begleiterin.

Nach 17 Wanderkilometern kehrten wir ein, aßen zu Mittag, dann holte Dieter den Bus. Die Schwester der Wirtin fuhr mit ihm wie ein Weltmeister um die Ecke auf zwei Rädern; das war dann doch zuviel.

Zum Abschluß noch einen Gang zum Kirchweihfest. Hier tanzte die unverheiratete Dorfjugend in heimischer Tracht, nach fünfzehn Minuten Folklore fuhren wir los. Überwunden ist der Stau vor und hinter Soest. Geblieben sind die Erinnerungen an eine zauberhafte Landschaft mit all ihrer herbstlichen Farbenpracht. Vergessen sind auch nicht die hochprozentigen Räuber und Geister der Rhön.

Gustav Adolf Wüstenfeld