1999 AH-Weserachter ( der 13.)

 

Den Abschluss der Ruderwanderfahrtsaison bildete dieses Jahr die traditionelle Weserwanderfahrt im Doppelachter. Zum13. Mal wurde „Moll‘s Junge“ zu Wasser gelassen, um das Weserbergland zwischen Lippoldsberg und Vlotho zu errudern. Ursprünglich von Etzel seinerzeit als sportliche Wanderfahrt mit einer in zwei Tagen zu bewältigenden Streckenleistung von mindestens 200 Kilometern ins Leben gerufen, ist sie in den letzten Jahren aus praktischen Gründen mit ca. 155 km etwas kürzer geworden, hat aber dadurch gewiss nichts an Reiz verloren. Auf der einen Seite gibt es immer noch die sportliche Herausforderung dieser Strecke und zum anderen liegt der Grund in der landschaftlichen Schönheit dieses Wesergebietes, eine Wanderfahrt, die immerhin durch drei Bundesländer (Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) führt.

 

Die Anreise erfolgte am Freitag Nachmittag, den 1.10. in PKW und Bus, wobei aus verkehrstrategischen Gründen gleich noch das Dortmunder Umland, Applerbeck, ausführlich erkundet wurde.

Am Abend fanden sich dann 14 Ruderkameraden, nämlich Karl Berghoff, Karl Biedermann, Thomas Blumberg, Johann Böhme, Dieter Borgmann, Wilfred Güthoff, Siegfried Held, Udo kemmer, Axel Kunde, Gustav Limke, Helmuth Lingnau, Gerhard Locher, Anton Schnurr und Peter Wilhelm im Luftkurort Lippoldsberg im Landhotel „Zum Anker“, dem Ausgangspunkt für unsere Wanderfahrt, wohlgemutes ein. Lippoldsberg liegt, eingebettet zwischen Reinhardswald, Bramberg und Solling, etwas nördlich von Hannoversch Münden, ca. 28 km hinter dem „Entstehungsort“ der Weser (wer kennt nicht den Spruch „Wo Fulda und Werra sich küssen, sie ihren Namen büßen müssen“).

 

Am großen gemeinsamen Tisch, der mit Lachs und diversen anderen Leckereien, inklusive Bierchen und Schnäpschen, gedeckt wurde, konnte viel von den vergangenen Weserfahrten, gefährlichen Begegnungen der dritten Art (zwei Personendampfer und einem Ruderboot), vollgeschlagenen Achtern, Alpträumen an der Poller Fähre, dem „kleinen“ Etzel, der sich an seine „Tonne“ klammerte und vieles mehr erzählt werden.

Eine weitere Tradition, die „Cherry“ Kirsch einst eingeführt hatte, hat unser Fahrtenleiter Gustav weiter gepflegt und ich bekam als Erstling auf dieser Wanderfahrt das „Rettungsholz“ überreicht, das ich im Boot mitzuführen hatte und uns bei einer eventuellen Havarie als schwimmende Rettungsinsel dienen sollte. (Wie das in praxi vonstatten gehen sollte, konnte dann aber nicht mehr geklärt werden).

Damit dem Fahrtenleiter das Glück allzeit hold sei, bekam dieser ein neues „Rettungs-T-Shirt“ von unserem Kassenwart überreicht, womit er gleichzeitig zum Dressman des RCW gekürt wurde.

 

Am nächsten Tag ging es nach dem Frühstück zügig los: Boot abladen, aufriggern, Boot ins Wasser, Mannschaft ins Boot, dank der perfekten Planung unseres Fahrtenleiters, inklusive eindeutiger Zuordnung der Ruder- und Trossplätze sowie minutiösem Terminplan alles reibungslos und perfekt - fast perfekt, wenn man die wenigen kritischen Bemerkungen einiger Ruderkameraden überhörte, der Plan sei aus den Vorjahren abgeschrieben, denn sie hätten schon seit Jahren immer an der gleichen Stelle Tross gehabt.

 

Das erste Etappenziel, Beverungen, wurde angesteuert. Bei der Durchfahrt durch das hessische, Bad Karlshafen hatte der Tross es sich nicht nehmen lassen, die Achterbesatzung gebührend zu begrüßen.

Die Diemel, die hier in die Weser mündet, ist für die Wasserstandsregelung in sofern wichtig, als dass sie über die Diemel- und Edertalsperre (über die Fulda) den erforderlichen Niedrigwasserausgleich für die Schifffahrt ermöglicht.

 

Mit kräftigem Rudereinsatz bei optimalem Ruderwetter (nicht zu warm, wolkenverhangener Himmel, kein Regen und teilweise kräftiger Rückenwind) konnte das nächste Ziel, Holzminden, angesteuert werden. Der Achter lief vorzüglich, wir mussten sogar mehrmals stoppen, weil Wilfred den Passagierdampfer, der uns seit Karlshafen begleitete, nicht überholen konnte.

Die Weser schlängelt sich am Solling vorbei. Deutlich konnten vom Wasser aus die Buntsandsteinvorkommen beobachtet werden, die den Ausgangsbaustoff vieler bekannter Gebäude der Weserrenaissance bilden. Vorbei ging es an der Kreisstadt Höxter mit mittelalterlichem Stadtbild, Fachwerkhäusern und vielen anderen Sehenswürdigkeiten, die wir nicht besichtigen konnten. Erwähnt werden muss aber auf jeden Fall Kloster Corvey, die 822 gegründete Benediktinerabtei, ein Tochterkloster von Corbie an der Somme. Corvey war im Mittelalter ein Mittelpunkt christlichen kulturellen Lebens und wurde 1802 säkularisiet. Das karolingische Westwerk mit den Resten karolingischer Ausmalung gilt als das älteste erhaltene Baudenkmal des Mittelalters und ist noch fast unverändert erhalten.

 

Aber zurück zum Rudern. Bald hatten wir den Ruderclub Holzminden erreicht, wo wir vom Tross mit Fleischwurst, Brötchen und Äpfeln gut versorgt wurden.

Weiter ging‘s. Der Lauf der Weser ist nun extrem gewunden. Die Fahrt ging teilweise wieder zurück nach Süden, nach Westen, nach Osten in alle Himmelsrichtungen. Dann, dort wo die Weser ihren berühmten Bogen macht, wo einst die Grafen von Eberstein ihren Sitz hatten, tauchte die legendäre, aus anderen Wanderfahrten gefürchtete Fähre von Polle auf. Der Fährmann hielt die Fähre an, winkte uns vorbei, keine Gefahr dieses Mal. Vorbei gings am Höhenzug nordöstlich von Holzminden, wo Heinrich 1. seine Vogelherde gehabt haben soll.

 

Die letzte Etappe dieses ersten Rudertages sollte dann der berühmte Kilometerstein 111 in Bodenwerder sein, den wir ohne Zwischenfall am Nachmittag erreichten. Erwähnt sei noch das Bilderbuchanlegemanöver unter der Regie des Steuermann Pitze, der den 18 m langen Achter in der nicht unerheblichen Strömung, vorbei an allen dort befindlichen tückischen Steinen, sicher an den Anleger lotste.

Die Unterkunft wurde. wie auch schon letztes Jahr im „Deutschen Haus“ bezogen, wo wir eine angenehme Bleibe und gute Bewirtung vorfanden.

Am nächsten Morgen, ging es wieder frisch gestärkt aufs Wasser. Der nächtliche Regen hatte aufgehört. Aus Witten wurde von heftigsten Regengüssen berichtet, aber bei uns war es trocken und so sollte es bleiben, na ja, wenn Engel reisen... - oder lag es wirklich nur an der Anwesenheit von Wilfred, dem eine geheime Verbindung nachgesagt wird? Manch einer hatte wohl am letzten Abend zuviel von diesem einheimischen Bier, wie heiß es noch Altersheim?, Alkersheim?, Alzersheimer?, ach nein Allersheimer genossen. Dieter war die ordnungsgemäße Verwendung seines Sitzkissen entfallen, kam es jetzt vor den Bauch oder doch unter den Allerwertesten?

Vielleicht hatte ihm ja auch im Traum Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen einen Tipp gegeben, dass ihm das Kissen ungeahnte Energie für den zweiten Rudertag einflößen könnte, gegeben? Immerhin waren wir immer noch in Bodenwerder, dem Geburtsort des „Lügenbarons“, der hier von 1720 -1797 lebte.

 

Guter Dinge konnte die Fahrt fortgesetzt werden. Weiter ging‘s vorbei an dem Gasthof Steinmühle, der Rühler Schweiz und kleinen Weserdörfern wie Daspe, Hajen oder Hehlen mit seinem Kalkwerk.

 

Erstaunlich wenige Menschen waren auf der Weser unterwegs, zwei bis drei Fahrgastschiffen sollten wir noch begegnen, auch ein paar Kanuten aus unserer Heimatregion (Mühlheim und Recklinghausen) sollen nicht unerwähnt bleiben. Ansonsten konnte man sich der Natur pur erfreuen. Hinter jeder der unzähligen Weserschleifen tauchten immer wieder Fischreiher auf, die man früher nicht beobachten konnte.

 

Bald war Grohnde in Sicht, wir passierten den Bereich des Kernkraftwerkes. Wird es nicht schon wärmer, ist blaue Tscherenkowstrahlung zu sehen? Udo würde gern mal sein Füße zu Temperaturmesszwecken in das Wasser halten. Aber wir verweilen hier nicht länger als notwendig.

Das Dorf Ohr, mit dem Ohrberg im Rücken, der seinen Namen das Aussehen einer Ohrmuschel verdankt, kündigte die Rattenfängerstadt Hameln an.

Vorher legten wir aber noch an dem neuen Bootshaus des RVW (Ruderverein Weser) an, Trosswechsel war angesagt. Schade, dass wir keine Zeit hatten, an der stattfindenden Regatta teilnehmen zu können, wir hätten unseren Achter gewiss noch nachmelden können, aber die Zeit drängte, wir mussten pünktlich bis 10:45 h die Schleuse von Hameln erreicht haben, der Schleusenwärter wollte schließlich auch Feierabend haben. Die neuen Kommunikationsmittel machten es möglich: Ein kurzer Anruf per Handy kündigte uns an und die Schleuse wurde geöffnet, wir wurden freundlich vom Schleusenwärter erwartet und konnten passieren.

 

Wir verließen Hameln mit seinen Bauten aus der Weser-Renaissance:

Rattenfänger-, Hochzeits-, Demptersches Haus, Rattenkrug und vielen anderen Sehenswürdigkeiten, die wir diesmal nicht besichtigen konnten, kamen am Ort Fischbeck, mit seinem ehemaligen Augustiner­ Kanonissenstift aus dem Jahre 955 vorbei.
 

Weiter ging‘s vorbei an Hessisch Oldendorf, vorbei am Süntel in Richtung Rinteln zum Kanu Club, wo die Kastellanin schon mit dem Essen auf uns wartet. Wer nicht auf uns wartete, war unser Tross, der erst nach mehrmaligem lauten Rufen aus seinem vorgezogenen Mittagsschläfchen geweckt werden musste. Aber auch das war schnell verziehen, nachdem uns der Kastellan mit einem Akkordeonständchen verwöhnt hatte.
 

Von der letzten Etappe, von Rinteln nach Vlotho, kann ich leider nur als Tross berichten, aber wie mir erzählt wurde, hat es auch da kaum Unterbrechungen gegeben und ca. 10 min nach der vorausberechneten Zeit konnten wir die Mannschaft in Empfang nehmen, den Achter unversehrt verladen und die Heimreise nach Witten antreten.
 

Was abschließend zu sagen bleibt:

Eine rundum gelungene Wanderfahrt durch die herrliche Landschaft des Weserberglandes, ohne Zwischenfälle, sodass selbst unser Rettungsholz nicht beansprucht werden musste.
 

Axel Kunde